1992 Das Theunissen-Testament (SM)
gegeben, und das bedeutet, daß die Gegenseite vor nichts zurückschreckt. Sind Sie darauf eingestellt?«
»Wir wären sonst nicht hier«, antwortete Ernesto. »Ihr Sohn hat uns zwar nicht gesagt, worum es geht, wohl aber, daß es gefährlich werden kann. Die Bezahlung stimmt, also machen wir mit.«
»Okay.« Olaf nahm einen Schluck Kaffee und fuhr dann fort: »Sie beide starten am 8. Dezember in Frankfurt. Am selben Tag setze ich mich Richtung Kopenhagen in Marsch. Am liebsten würde ich mit dem Zug fahren und meinen neuen Paß ausprobieren, aber das ist zu riskant. Da braucht nur mal ein Grenzbeamter mein Foto in der Zeitung gesehen zu haben, und schon könnte alles geplatzt sein. Also bringt Jacob mich an die dänische Grenze. Irgendwo zwischen Nord- und Ostseeküste, wahrscheinlich in der Torfgegend von Jardelund, einem kleinen Ort, geh’ ich rüber. Jacob passiert mit dem Wagen die Grenze, ganz normal, pickt mich drüben wieder auf und fährt mich zum nächsten dänischen Bahnhof. Dann reise ich per Eisenbahn nach Kopenhagen und nehme eine SASMaschine nach Stockholm. Von dort fliegt am 9. Dezember die AEROFLOT direkt nach Santiago de Chile. Das ist mein Flug. Ein Visum verlangt Chile nicht. Wir kriegen bei der Landung ein Zertifikat, das uns zu einem neunzigtägigen Aufenthalt berechtigt. In drei Monaten werden wir unseren Fall, so hoffe ich, wohl gelöst haben. Falls nicht, kann man die Erlaubnis verlängern lassen. Soviel zur Anreise. Drüben treffen wir uns im Hotel LOS ANDES in Valparaiso. Meine Maschine geht in Stockholm um 20.20 Uhr ab und ist am nächsten Tag um 15.00 Uhr Ortszeit in Santiago. Also sehen wir uns am 10. Dezember abends in der Lounge, sagen wir, um 19 Uhr. Von Santiago aus ist man übrigens mit dem Schnellzug in zwei Stunden in Valparaiso. Gibt es noch Fragen zu diesem Komplex?«
Jacob hatte eine. »Wirst du«, wandte er sich an Federico, »mit deinem Seefahrtsbuch reisen? Ein spanischer Paß wäre besser, weil in dem anderen Ausweis die HANNA THEUNISSEN vermerkt ist. Auch die chilenische Öffentlichkeit kennt mittlerweile den Namen Theunissen.«
»Ich habe beides«, antwortete Federico, »nehme also den Paß.«
»Wie fangen wir drüben an?« fragte Ernesto. »Wir müssen ja einen Faden aufrollen, und also geht’s erst mal um das lose Ende.«
»Und das«, meinte Olaf, »sollten wir weder bei der Polizei suchen noch beim Zoll, auch nicht bei der Hafenbehörde und ebensowenig bei dem Mann, der die BRISTOL INSURANCE vertritt. Die erste Anfrage bei einer dieser Adressen würde aufhorchen lassen.«
»Wie wär's mit der Muñoz-Familie?« fragte Ernesto. Olaf schüttelte den Kopf. »Hab’ das in meiner Zelle hundertmal durchgespielt und bin immer wieder zu demselben Ansatzpunkt gelangt, dem Schrottplatz. Es dürfte leicht sein, den ausfindig zu machen. Natürlich, der Platz kann uns nichts verraten, aber der Mann, dem er gehört, kann das. Sobald ich die Fotos habe, sind wir für die Suche gerüstet.«
»Ich glaube«, sagte Federico, »daß es in Chile nicht mehr als eine Autoverwertungsfirma gibt, und diese eine liegt mit Sicherheit in Zentral-Chile, wo drei Viertel der Bevölkerung leben. Aber …« , er schloß die Augen und fuhr fort: »Mir geht da grad was durch den Kopf.« Seine Augen blieben eine ganze Weile geschlossen, und die anderen drei schwiegen, um den offenbar komplizierten Gedankengang nicht zu stören. Olaf fand die Demonstration ein bißchen theatralisch, rechnete sie aber dem üblichen Repertoire der Südländer zu und sagte sich. Mal sehen, was dabei herauskommt!
Jetzt schlug Federico sich sogar mit der Faust an die Stirn, öffnete dann die Augen und erklärte: »Ist eine Art Mathematik. Man arbeitet mit ein paar bekannten Größen, um eine unbekannte zu ermitteln. Sie haben …«, er sah Olaf an, »vorhin gesagt, Ihr Vetter ist die Person mit dem stärksten Motiv.«
»Er ist«, antwortete Olaf, »der einzige, bei dem ich ein Motiv erkennen kann.«
»Wenn du«, warf Jacob ein, »unbekannte Dritte ausschließt, denen es nur um einen Kupferdiebstahl ging.« »Aber die«, meinte Ernesto, »hätten sich doch bestimmt mit ihrer Beute begnügt und nicht auch noch ein Schiff versenkt und zwei Menschen umgebracht.«
»Da bin ich nicht so sicher«, erwiderte Olaf. »Auch für solche Leute wäre die Tatsache, daß keine Nachforschungen angestellt werden können, weil das Schiff auf dem Meeresgrund liegt, sehr beruhigend. Und nach allem, was wir wissen, war eine Tiefe
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