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1992 Das Theunissen-Testament (SM)

1992 Das Theunissen-Testament (SM)

Titel: 1992 Das Theunissen-Testament (SM) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hinrich Matthiesen
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vorstellen, und so etwas Ähnliches war er ja auch, wie seinen Erzählungen, die von
Glas zu Glas blumiger wurden, zu entnehmen war. Nach einer Dreiviertelstunde wußten sie, wieviel Stück Vieh er am Vortag mit seinem Patrón in Temuco gekauft hatte, wie viele prächtige Exemplare darunter waren und was sie später einmal bringen würden. Und sie wußten, daß Don Emilio, der Schweizer, dreihundert Hektar Land besaß, zur Hälfte unterm Pflug, und daß zu seinem Gut ein großer Wald gehörte. Und wußten, daß Umberto nicht immer auf dem Gut, sondern vorher zwei Jahre lang als  cargador de muelle, als Stauer, in einigen kleinen Häfen am Golf von Ancud gearbeitet hatte. Doch sie erfuhren auch, daß der Vater der Gutiérrez-Brüder seine Familie bald nach der Geburt des letzten Kindes, eines Mädchens, verlassen hatte und die Mutter mit den drei Kleinen, das älteste war der damals erst siebenjährige Hilario, allein zurückgeblieben war, daß die beiden Jungens kaum die Schule besucht hatten, weil sie schon früh zur Arbeit herangezogen wurden, und schließlich hörten sie, daß trotz aller Arbeit und Not- Umberto war auch in sehr ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen – für die drei Freunde doch Zeit geblieben war, Streifzüge durch die Wälder zu machen. Je älter die Burschen wurden, desto mehr Geld kriegten sie durch Diebereien in die Finger. »Keine großen«, hieß es in Umbertos Bericht, »hier mal ein Transistor-Radio, da eine Armbanduhr oder ein Photoapparat und manchmal ein paar Pesos aus dem Handschuhfach eines geparkten Autos. Aber das Schönste von allem waren unsere Bergtouren …« 
    Olaf gähnte und griff schon nach seiner Brieftasche, um die Zeche zu bezahlen, da hielt er inne, dachte plötzlich an den vergangenen Abend, als er vom Fenster aus den mondbeschienenen schwarzweißen Kegel des Monte Osorno bestaunt hatte. Er stand auf, sagte: »Entschuldigt mich mal eben!« und ging zur Theke. Schon beim Eintritt in das winzige Lokal hatte er auf einem Bord an der Wand mehrere Päckchen Spielkarten entdeckt und daneben ein Dominospiel. Seine Hoffnung war, daß der Wirt noch andere Spiele für seine Gäste bereithielt. »Haben Sie auch ein Damespiel?« 
    » Si, Señor. « Der Mann bückte sich und holte unter dem Tresen das in acht mal acht Felder eingeteilte Brett und die Spielsteine hervor, die er in einem bauchigen Glas verwahrte. Beides schob er Olaf hin, doch der griff nur einmal kurz ins Glas, fischte sich zwei Steine heraus und sagte: »Ich bring’ sie gleich zurück.«
»Wie Sie wünschen«, sagte der Wirt, dem es rätselhaft erscheinen mochte, was der Gringo mit nur zwei Steinen wollte. Olaf kehrte an seinen Platz zurück, setzte sich, wartete das Ende der Geschichte ab, die Umberto gerade zum besten gab und in der es, soviel hörte er heraus, um Ziegenmilch ging. » Señor Flores«, sagte er dann und legte die Spielsteine auf den Tisch, den schwarzen nach unten und den weißen nach oben, »was bedeutet das?« Die Reaktion des Chilenen war bühnenreif. » No me diga! «
Olaf wußte, diese drei Worte bedeuteten ›Donnerwetter!‹ oder ›Wirklich?‹ oder auch ›Kaum zu glauben!‹ Umberto hob beide Hände, führte sich voller Theatralik die Fingerspitzen an den Mund, küßte sie mit lautem Schmatzton und schleuderte sie dann abrupt vom Munde weg, das aber nur, um sie gleich wieder an die Lippen zu führen. Seine Augen waren ein einziges glückseliges Gefunkel, und als die Küsserei zu Ende war, sagte, nein, flüsterte er, so hingerissen war er: » La sueca! «
Und Ernesto übersetzte: »Die Schwedin.«
Noch immer schwang große Begeisterung mit, als Umberto erklärte: »Jetzt gibt es keinen Zweifel mehr daran, daß Sie Freunde von Hilario und Carlos sind.« 
    »Die Schwedin«, nahm Federico das offenbar entscheidende Stichwort auf, »ja, wie war das noch mit ihr?« »Aber Sie haben mir die Steine gezeigt! Sie müssen die Geschichte kennen!«
Das war jetzt natürlich eine Klippe, doch Federico wußte sich zu helfen. Bei so viel Enthusiasmus war von einem aufregenden Ereignis auszugehen, und so antwortete er:
»Wir kennen sie nur in groben Zügen. Außerdem hören wir sie immer wieder gern.«
» Bien « , Umberto atmete tief durch, »zwei Steine wie diese …«, er nahm sie in die Hand, betrachtete sie versonnen, legte sie wieder auf den Tisch, übereinander, den schwarzen nach unten, den weißen nach oben, »… hatten für uns eine ganz

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