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1992 Das Theunissen-Testament (SM)

1992 Das Theunissen-Testament (SM)

Titel: 1992 Das Theunissen-Testament (SM) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hinrich Matthiesen
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plötzlich, und zwar kurz vor der Lavagabel, wiederentdeckten. In einem Abstand von etwa hundert Metern strich er, jenseits der schwarzen Rinne, durch das blaßgrüne Gras, das hier ziemlich hoch war, so daß nur Kopf und Rücken des Raubtiers zu erkennen waren. Sie waren stehengeblieben, starrten hinüber.
»Wirklich, wir hätten ihn abknallen sollen«, sagte Federico. »Der wird uns keine Ruhe lassen.«
»Er ist doch ganz friedlich«, antwortete Ernesto, aber Federico lachte auf und fragte: »Woran willst du das denn wohl erkennen?«
»Nun reg dich endlich ab! Er ist ja schon wieder verschwunden.« Ernesto zeigte hinüber, und tatsächlich, der gelbe Rücken war nicht mehr zu sehen.
Sie setzten ihren Weg fort, gingen noch das kurze Stück bis zur Gabel. Dann holte Federico den Kompaß heraus und achtete darauf, daß sie sich von nun an strikt in Richtung Ostnordost voranbewegten. Bis zu dem Felsbrocken mit dem eingemeißelten Pfeil waren sie vorwiegend in Serpentinen leicht aufwärts gegangen, immer den Wimpeln oder anderen Markierungen folgend, danach eine gerade Strecke mit ebenfalls nur geringer Steigung. Das wurde jetzt, da sie auf den Gipfel zuhielten, anders, und entsprechend langsam kamen sie voran. Nach einer Stunde brauchten sie wieder eine Pause.
»Laut Umberto sind es von der Gabelung bis zur Hütte anderthalb Stunden«, sagte Ernesto. »Viel fehlt also nicht mehr.« Federico wies auf eine in der Ferne aufschimmernde helle Granitfläche. »Von da an«, meinte er, »machen wir in regelmäßigen Abständen halt und suchen die Gegend durchs Fernglas ab.« Etwa zehn Minuten lang ruhten sie aus und arbeiteten sich dann bis an die Felsplatte heran, wo sie noch einmal ihre Taschen ablegten. Federico setzte das Glas an die Augen und suchte systematisch nach der Höhle, fand sie jedoch nicht. Dafür entdeckte er etwas anderes.
»Halblinks!« flüsterte er. »Nur etwa hundert Meter. Ihr könnt ihn mit bloßem Auge erkennen.«
Olaf und Ernesto blickten in die angegebene Richtung. Ja, und da war er wieder, diesmal in seiner ganzen Größe, zu sehen. Er stand auf einer Anhöhe, wirkte nicht mehr gelb, sondern einfach nur dunkel, beinahe schwarz, aber das lag an den veränderten Lichtverhältnissen. Ganz klar zeichneten die Körperlinien sich gegen den helleren Hintergrund ab, der schlanke, langgestreckte Rumpf, die Beine, der leicht erhobene Kopf.
»Ein hinreißendes Bild«, sagte Olaf, »aber ich frag’ mich, was wir machen sollen, wenn er näher kommt.« Und Ernesto meinte: »Von Kopf bis Fuß eine Majestät. Wie ein Herrscher, der auf sein Reich schaut.«
Doch gleich darauf war’s vorbei mit dem stolzen Anblick. Der Puma hatte seinen Aussichtspunkt verlassen und war hinter dem Hügel verschwunden.
Sie machten sich wieder auf den Weg, forcierten nun das Tempo, denn vor Einbruch der Dunkelheit mußten sie die Höhle gefunden haben. Irgendwann – sie hielten wohl zum sechsten oder siebten Mal an, und Federico suchte den Berghang Meter für Meter ab – mußte Olaf plötzlich an die dramatische Sitzung in der Reederei denken, als er zusammen mit Jacob und den anderen auf Nachrichten aus Valparaiso wartete und als Justus Hagemann dann meldete, im Bauch der OLGA sei nicht ein einziges Gramm Kupfer. Und nun erklomm er, den das Bergsteigen nie interessiert hatte, einen Vulkan, streckenweise begleitet von einer Raubkatze, der er höchstens mal in BREHMS TIERLEBEN begegnet war, trug eine Schußwaffe und würde notfalls auch von ihr Gebrauch machen. Grotesk! Und wer weiß, dachte er, wie’s weitergeht! Vielleicht erschieße ich heute abend einen Chilenen, komme vor den Kadi und verbringe den Rest meines Lebens hinter südamerikanischen Gefängnismauern. Und verdanke das alles womöglich meinem Vetter John, der mich – mein Gott, das ist doch noch gar nicht so lange her – aus dem Wattenmeer gefischt hat. »Hallo, Mister, nicht träumen!« Ernesto hielt ihm die Hand hin und zog ihn hoch. Sie quälten sich weiter bergauf. Es mochte etwa der zwanzigste Stopp sein, den sie wieder für eine Rast nutzten. Sie legten ihre Taschen ab und setzten sich hin. Mittlerweile hatten sie die Vegetationsgrenze erreicht, saßen nicht mehr im Gras, sondern auf dem nackten Boden. Als besonders nachteilig erschien es ihnen, daß nun auch keine Büsche und Sträucher mehr da waren, die ihnen Sichtschutz hätten bieten können. Sollten sie sich blitzschnell verstecken müssen, gäbe es nur die kleinen Unregelmäßigkeiten des Terrains, eine

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