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1994 Jagdzeit in Deutschland (SM)

1994 Jagdzeit in Deutschland (SM)

Titel: 1994 Jagdzeit in Deutschland (SM) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hinrich Matthiesen
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Er wird dich schon nicht verpfeifen, du hast ja unter Druck gehandelt.«
Kämmerer wollte das kleine Intermezzo nicht stören, es vor allem nicht unterbrechen. So schwieg er und wartete gespannt darauf, wie es weitergehen würde.
»Aber wenn er … , wenn er mich nun reinlegt?«
Die beiden sprachen miteinander, als gäbe es ihren Besucher plötzlich nicht mehr.
»Quatsch! Er legt dich nicht rein. Hast es doch gehört, er will den Major, und das ist ja auch der Mann, der die Schuld hat an allem. Du warst nur ein kleiner Befehlsempfänger. Jetzt sag’s ihm schon!«
»Aber es wird ihn traurig machen, und traurige Menschen zahlen nicht so gut wie fröhliche.«
Kämmerer verlor nun doch die Geduld. »Hören Sie«, erklärte er, »was Sie mir auch zu sagen haben, es wird sich für Sie lohnen, wenn ich damit was anfangen kann.«
Schöller legte beide Hände flach auf den Tisch und beugte sich leicht vor. »Ich hatte«, sagte er, »in der Geschichte wirklich nur eine winzige Rolle, war nur Statist. Die Macher waren die anderen. Geben Sie mir Ihr Ehrenwort, daß Sie mich nicht verraten?«
»Wenn Sie nur Statist waren, ja. Also, was ist geschehen?«
»Dafür brauch’ ich einen Schnaps.« Schöller blinzelte Kämmerer sogar zu, bevor er seine Schwester ansah.
»Geben Sie ihm einen. Es wird sich auszahlen, für Sie beide.«
Wortlos ging die Schwester aus dem Zimmer, kehrte aber schon nach wenigen Augenblicken zurück, Flasche und Gläser in den Händen.
Schöller schenkte sich ein, kam nicht auf die Idee, den beiden anderen auch etwas zu geben.
Er trank, setzte das Glas ab, wischte sich mit der Rechten über den Mund. »Es ging darum, Ihren Sohn zum Reden zu bringen. Der Major und seine Leute glaubten, Ihre Flucht in den Westen war nur die Spitze des Eisbergs, wie man so sagt. Man war überzeugt davon, daß Sie in Halle und Umgebung eine große Flucht-Organisation aufgebaut hätten.«
»Dann wäre ich doch nicht als erster rübergegangen.«
»Doch. Als mutiges Beispiel.«
»Soll das heißen, man ging davon aus, daß nach mir zehn oder zwanzig andere mit Mähdreschern den Zaun niederwalzen wollten?«
»Nein, so nicht. Man glaubte, Sie hätten geheime Kurse abgehalten über die richtige Vorbereitung einer Flucht. Welche Hilfsmittel man benutzen kann. Wie man die Angst überwindet. Welchen Grenzabschnitt man sich aussucht. Wen man einweihen darf und wen nicht. Wie viele auf einmal gehen können. Wie man sich verhält, wenn man drüben ist. Was mit den Zurückgebliebenen passieren kann und wie die sich dann zu benehmen haben. All die Fragen, die mit einer Flucht zusammenhängen. Darüber sollten Sie in Ihrer Wohnung Unterricht erteilt haben. Nachbarn hatten ausgesagt, da wären regelmäßig Zusammenkünfte gewesen, und nun wollte man von Ihrem Sohn die Namen haben.«
»So ein Unsinn! Ein einziges Mal hab’ ich mit einigen Freunden ganz allgemein über Fluchtmöglichkeiten gesprochen, und da …«
»… war bestimmt ein falscher Freund dabei, der es gemeldet hat. Jedenfalls haben sie im Knast immer wieder versucht, Ihren Sohn nach diesen Zusammenkünften auszufragen. Aber der schwieg. Oder er sagte, er wüßte nichts davon, und das legte man ihm als Leugnen aus. Sie kennen das ja. Und dann versuchte dieser Kopjella ’ne ganz miese Tour. Er wollte dem Jungen beweisen, was für ein … Entschuldigung, aber so war es, was für ein Maulheld sein Vater wäre. Er hatte dauernd von Flucht geredet und Vorträge gehalten über die Mutigen, die alle schon rübergegangen waren, auch über die, die ihren Schritt mit dem Leben bezahlt hätten, aber er selbst, also Sie waren damit gemeint, er selbst hätte sein eigenes Kind verletzt auf dem Acker liegenlassen.«
Kämmerer wurde blaß, hatte sofort das Bild vor Augen, wie man Tilmann in die Mangel nahm, erst mir guten, dann mit bösen Worten, schließlich mit dieser infamen Lügengeschichte.
»Glauben Sie mir, so war es nicht«, sagte er leise.
»Bestimmt nicht, aber das spielte keine Rolle. Es war der Major, der sich die Tricks ausdachte, mit denen die Häftlinge kleingekriegt werden sollten.«
»Und was hatten Sie damit zu tun?«
»Warten Sie ab!« Schöller wandte sich, obwohl die Flasche direkt vor ihm stand, an seine Schwester: »Erna, ich brauch’ noch einen Schluck, denn jetzt kommt das schwerste.«
»Ich weiß«, antwortete sie ihm und schenkte ihm ein.
Er trank das Glas in einem Zuge aus.
»Eines Tages kam der Major zu mir«, sagte er dann. »Stellen Sie sich das vor, er ließ mich

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