1994 Jagdzeit in Deutschland (SM)
die Eingangstür und drückte auf die Klingel. Erst nach einer ganzen Weile kam aus der Sprechanlage Fehrkamps Stimme:
»Ja, wer ist da?«
»Ich bin’s, Kopjella. Wir müssen noch mal miteinander reden.«
Der Summer ertönte. Kopjella trat ein, fuhr mit dem Fahrstuhl in die sechste Etage.
Fehrkamp empfing ihn in einem beigefarbenen Bademantel, unter dem eine dunkelblaue Schlafanzughose hervorguckte. Das linke Hosenbein hing schlaff herunter. Hatte er gestern seine Prothese getragen, so bediente er sich nun zweier Krücken.
»Hab’ ich mir doch gedacht, daß ihr kommen würdet.«
»Bist du allein, oder störe ich?«
»Seh’ ich so aus, als hätte ich Besuch?«
»Könnte ja jemand aus der Familie dasein.«
Sie gingen ins Wohnzimmer.
»Wolltest du schon ins Bett?«
»Nein, aber abends bin ich gern etwas leger, und es kommt ja niemand.« Fehrkamp stellte die Krücken in einen Schirmständer, dessen Fuß durch eine Metallplatte schwerer gemacht worden war, und ließ sich in einen Sessel fallen. Kopjella setzte sich ihm gegenüber. Auf dem flachen Tischchen zwischen ihnen standen eine Zigarrenkiste, eine Kognakflasche und ein Schwenkglas, das, wie man an dem goldgelben Rest auf seinem Boden sah, in Benutzung war.
»Hinter dir, im Schrank, sind die Gläser.«
Kopjella holte sich eins und schenkte ein, erst seinem Gastgeber, dann sich selbst.
Sie tranken, nickten einander kurz zu und stellten ihre Gläser ab. Eine Zigarre wollte Kopjella nicht, aber Fehrkamp zündete sich eine an.
»Ich kenne die Spielregeln«, sagte er dann, »und darum weiß ich, warum du hier bist.«
Sie sahen sich lange an. Kopjella empfand Verlegenheit. Er bemühte sich, sie zu überspielen, indem er umständlich nach seinen Zigaretten suchte und sich schließlich eine anzündete.
»Ja, ich soll mit dir reden.«
»Wohl nicht nur das, Kamerad Kopjella.«
»Ich versteh’ nicht.«
»Doch, du verstehst. In einer deiner Jacken- oder Hosentaschen steckt sie, die Kapsel. Du hast den Auftrag, sie mir auf den Tisch zu legen, und ich habe dann die Pflicht, sie zu zerbeißen. Selbstmord auf Befehl, wie Weiland Deutschlands populärster Soldat, nur daß ich nicht populär bin. Also würde man in meinem Falle hinterher nichts zu kaschieren brauchen. Es könnte einfach heißen. Einer von der Stasi, der nicht mehr zurechtgekommen ist mit seinem Leben.«
Kopjella antwortete nicht.
»Wer schweigt, scheint zuzustimmen. Nun hol sie schon raus, die Kapsel! Leg sie auf den Tisch! Aber du wirst sehen, ich nehme sie nicht. Folglich wirst du nach Methode zwei vorgehen wollen. Kann sein, daß du dich fürs Fenster entscheidest, denn ich wohne immerhin im sechsten Stock. Ich muß dich enttäuschen, das Fenster wird es auch nicht.«
»Was redest du für einen Unsinn!«
»Es ist kein Unsinn. Du hast sie bei dir, die Kapsel. In einer deiner Taschen steckt sie. Wir beide haben zu lange auf derselben Seite gestanden, als daß der eine dem anderen noch was vormachen könnte. Es ist Zyankali, nicht wahr?«
»Hast recht«, antwortete Kopjella, »und auch, was du über die Spielregeln gesagt hast, stimmt.« Er holte aus seiner Jackentasche eine kleine silberne Dose, stellte sie auf den Tisch, klappte den Deckel auf. Zum Vorschein kam eine längliche rote Kapsel. »Es beruhigt mich, daß du auf diesen Schritt, der mir verdammt schwerfällt, vorbereitet bist«, sagte er und steckte das Döschen wieder ein.
»Das bin ich, aber anders, als du denkst. Ich hänge an meinem Leben. Als du mit Kornmesser und den beiden Bezirksleitern den Konferenzraum verlassen hast, ahnte ich, was ihr besprechen wolltet, und wie man sieht, hab’ ich mich nicht geirrt. Wie habt ihr’s gemacht? Abgezählt? Streichhölzer gezogen? Das Los entscheiden lassen?«
»Das Los.«
»Und dich traf es also.«
Kopjella nickte.
»Dann hör mir jetzt gut zu! Auf eine Situation wie diese bin ich seit langem eingestellt. Bei einem Hamburger Notar liegt ein Umschlag, DIN-A4-Format und ziemlich kompakt. Auf elf Seiten steht die Geschichte der HADEX von ihren Anfängen bis zum heutigen Tag. Da ist zum Beispiel jeder einzelne Agent genannt, der in den Westen geschleust und dann von der HADEX gesteuert wurde. Krüger, Engefeld, Lipsky, Olesen, der Holländer van der Vring, der zum Schluß für beide Seiten arbeitete, ehe er in Frankfurt unter die U-Bahn kam. Weiter. Rollmann, der von den Palästinensern ausgebildet wurde und beim Anschlag auf Lod dabei war. Um Haaresbreite wurde er vom MOSSAD erwischt, konnte grad noch
Weitere Kostenlose Bücher