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1994 Jagdzeit in Deutschland (SM)

1994 Jagdzeit in Deutschland (SM)

Titel: 1994 Jagdzeit in Deutschland (SM) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hinrich Matthiesen
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machte er sich zu Fuß auf den Weg. Es war schon fast ein Uhr in der Nacht, als er das kleine Hotel im Stadtteil St. Georg betrat.
Er brauchte seinen Ausweis nicht vorzuzeigen, konnte sich also unter falschem Namen eintragen, bekam ein Zimmer, ging hinauf, legte sich angekleidet aufs Bett.
Das auf so brutale Weise entwendete Foto würde ihm bei seiner Suche nach Kopjella nun zwar fehlen, aber zum Glück gab es die Ersatzfotos, von denen er noch zwei besaß. Er holte sie hervor, wollte prüfen, welches der beiden sich am besten vergrößern ließe, und legte sie nebeneinander aufs Kopfkissen, so daß das Licht der Nachttischlampe darauf fiel.
Schnell hatte er eins ausgewählt. Das andere schob er beiseite und besah sich dann ganz genau die abgebildete Ansammlung von Uniformierten vor dem Büffet, zählte sogar nach, kam auf zehn Personen. Kopjella, am rechten Rand der Gruppe stehend, hatte über die Köpfe der anderen hinweg in die Linse geblickt. Wieder war an ihm nichts zu entdecken, was auf Zynismus und Gewalttätigkeit hingedeutet hätte. Der Mann, sagte er sich, wirkt durch und durch anständig, und fast könnte man auf die Idee kommen, daß es ein anderer gewesen sein muß, der Tilmann getötet hat.
Er legte beide Fotos auf den Nachttisch, schloß die Augen, hatte plötzlich ein paar Köpfe vor sich, die er aus Büchern kannte. Heinrich Himmler. Dieser eher schüchtern, wenn nicht verängstigt wirkende Spießertyp, bei dem man alle möglichen Skrupel aus dem bebrillten Durchschnittsgesicht herauszulesen vermeinte, und der weiß Gott keine Skrupel gekannt hatte. Adolf Eichmann, der, obwohl er das größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte organisiert hatte, wie ein honoriger Bürger aussah. Josef Mengele. Melancholische Augen, würde ich sagen, und die lassen doch eher an Sanftheit und Güte denken als an ein medizinisch verbrämtes Mordprogramm. Wirklich, das Böse ist nicht ablesbar von den Gesichtern.
Er setzte seine Bilanz fort, wischte die Bilder von Menschen, denen er nie begegnet war, weg und holte sich einen Mann heran, dem er gegenübergesessen hatte, Georg Schöller. In dessen Darstellung war, wie bei Dillinger, angeklungen, daß den Untergetauchten Beistand geleistet wurde. Wie, überlegte er, hat man sich das vorzustellen? Wie viele sind es? Und haben sie bei irgendwelchen Freunden Zuflucht gesucht, jeder für sich allein? Oder sind sie straff organisiert, beziehen womöglich Gelder aus Sympathisantenkreisen? Darüber müßte doch die Polizei irgendwas wissen!
Sein Besuch auf dem Revier fiel ihm ein, dessen Verlauf ihm außerordentlich mißfallen hatte. Zunächst war von dem Beamten, dem er sein Anliegen vorgetragen hatte, ein Aufstöhnen gekommen, gefolgt von den Worten: »Ach, schon wieder einer!«
Und dann hatte der Mann ihm erklärt, daß er die Anzeige durchaus woanders loswerden könne, bei der Staatsanwaltschaft zum Beispiel oder beim Gericht, und ihm damit indirekt nahegelegt, er möge sich doch für eine der beiden genannten Adressen entscheiden. Auf seine Frage, ob die Polizei nicht auch zuständig sei, hatte er die Antwort erhalten: »Doch, doch. Alle drei Behörden sind verpflichtet, Ihren Fall aufzunehmen. Na gut, dann mal los!«
Er hatte also erzählt und dabei nach Meinung des Beamten viel zu weit ausgeholt. Der Film etwa! Gebe es für den überhaupt Beweise?
Ja, er habe einen Zeugen.
»Welchen?«
Benennen dürfe er ihn nicht.
»Was denn nun? Ist es ein Zeuge, oder ist es keiner?«
Ja, das sei einer. Er habe sich mit ihm getroffen, mehrmals sogar, aber er habe versprechen müssen, dessen Identität nicht preiszugeben. Nur so habe er die erbetenen Informationen bekommen können.
Bei der Beschreibung des Mähdreschers war in dem Polizisten ein plötzliches Interesse erwacht. Er hatte sich dessen Umrüstung genau erklären lassen und sein Urteil zusammengefaßt in dem Ausruf: »Raffiniert! Wirklich raffiniert!«
Er, Kämmerer, hatte dann noch vorgeschlagen, die Ehefrau des Frank Kopjella ausfindig zu machen, deren Adresse ihm zu dem Zeitpunkt noch nicht bekannt gewesen war. Ja, er hatte sogar gemeint, man müsse unbedingt ihr Telefon überwachen und außerdem Mikrophone in der Wohnung anbringen.
»Bester Mann, wo denken Sie hin!« war die Antwort gewesen. »Wir sind doch kein Polizeistaat, wie ihr drüben einen hattet! Was meinen Sie wohl, was passiert, wenn ich, um was rauszukriegen, ne Wanze in einer Privatwohnung unterbringe! Ich würde in hohem Bogen fliegen und könnte mir einen

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