1994 Jagdzeit in Deutschland (SM)
und ging zu Bartolo, um sich den Schlüssel für eins der vor dem Portal geparkten Autos geben zu lassen. Einer Begründung bedurfte es nicht. Die auf der Hacienda beschäftigten Spanier, vom Verwalter bis zum letzten Landarbeiter, waren den Alemanes, den Deutschen, die als Bevollmächtigte der Eigentümergesellschaft auftraten, unterstellt.
So befand er sich schon zehn Minuten später in einem zwar nicht mehr ganz neuen, aber noch funktionstüchtigen Seat auf der Landstraße, fuhr in Richtung Colmenar, von wo er dann nach Süden abbiegen und in Richtung Malaga weiterfahren wollte.
Linker wie rechter Hand entdeckte er, außer den über weite Strecken das Bild beherrschenden Olivenbäumen, Korkeichen und Pinien und sogar Mandelbäume und Palmen, die um so zahlreicher wurden, je tiefer die schmale Straße ihn vom Gebirge herunterführte. Doch längst nicht jeder Hektar Boden war mit Bäumen bewachsen. Zwischen den bewaldeten Arealen zogen sich Wiesenhänge hin, auf denen Ziegenherden grasten. Und es gab auch Land unterm Pflug. Dort, wo das Terrain weniger große Höhenunterschiede aufwies, dehnten sich die Flächen rotbrauner Erde.
Einige Kilometer hinter Colmenar wechselte er über auf die stark befahrene Carretera 321, die, von Sevilla kommend, nach Malaga führte, und dann dauerte es nicht mehr lange, bis er den Stadtrand erreicht hatte. Er folgte den Schildern, die ihm den Weg ins Zentrum wiesen, gelangte schließlich zum Hafen. In der Nähe des Hotels MALAGA PALACIO fand er einen Parkplatz, stellte den Seat dort ab, gab dem Halbwüchsigen, der ihn in eine der wenigen Lücken dirigiert hatte, ein paar Peseten und machte sich auf den Weg.
Zunächst folgte er dem Strom der Passanten, der sich über die Avenida del Generalissimo, die Haupt- und Prachtstraße ergoß, nahm flüchtig auf, was seinen Augen dargeboten wurde. Luxusgeschäfte mit Schaufenstern voller erlesener Artikel, Verkaufsstände, die ihre buntgemischten Waren auf den breiten Bürgersteigen feilboten, fliegende Händler, Bettler, Straßenlokale, Restaurants. Die Menschen, die hier flanierten, waren nicht minder buntgemischt. Er sah an ihnen elegante Kleidung ebenso wie sportliche, farbenfrohe wie düstergraue, und immer wieder entdeckte er, einzeln oder in Gruppen, Marinesoldaten, also hatte wohl ein Kriegsschiff an einem der Kais von Malaga festgemacht.
Er freute sich, daß er hierhergefahren war, beschloß nun auch, aufs Ganze zu gehen und sich den Tag so aufregend zu gestalten, wie es nur möglich war. Ich such’ mir ’ne spanische Edelnutte, dachte er, jung und handfest und heißblütig, und dann werd’ ich der mal zeigen, was ostdeutsche Wertarbeit ist!
Er bog von der Hauptstraße ab und geriet in ein Labyrinth pittoresker Gassen. Auch hier viel Gedränge, auch hier die teuren und die einfachen Kleider und dazwischen die leuchtendweißen Mützen der Matrosen.
Er betrat ein kleines Lokal, in dem gegessen, getrunken, gelacht und gesungen wurde. Es war eng, und die Kellner hatten Mühe, sich mit ihren vollen Tabletts an den Stühlen entlang zu winden. Er fand einen Tisch, an dem gerade jemand aufstand, um zu gehen, und war überrascht, als der Fremde auf deutsch zu ihm sagte:
»Ich empfehle Ihnen den köstlichen Jamón Serrano. « Dabei zeigte er an die Decke, von der im Thekenbereich eine Vielzahl geräucherter Schinken herabhing. »Und dazu ein Bier.«
»Und wenn ich nun kein Deutsch verstanden hätte?« fragte er zurück.
»Dann hätte ich mich bei einer solchen Einschätzung zum erstenmal geirrt. Ich wünsche Ihnen einen guten Appetit!«
»Danke.«
Und er folgte dem Rat, ließ sich Schinken und Bier bringen, und beides schmeckte ihm ausgezeichnet. Aber er blieb nicht beim Bier, sondern trank danach einen Cappuccino. Wo hier in Malaga, überlegte er, ein für mich in Frage kommendes Haus zu finden ist, wird jeder Taxifahrer mir sagen können.
Plötzlich mußte er an seinen Sohn denken, und er hoffte, der Junge werde nie in die Versuchung geraten, auf eine der Sankt-Pauli-Huren zurückzugreifen. Nein, sagte er sich, Oswald wird eine ganz normale Freundin haben, eine Kommilitonin vielleicht, und die beiden werden sich hoffentlich so verhalten, daß Aids bei ihnen, wie es in der Werbung immer heißt, keine Chance hat.
Merkwürdig, an seine Tochter dachte er in diesem Zusammenhang nicht. Aber andere junge Frauen kamen ihm in den Sinn, und das bedeutete einen Sprung von Hamburg nach Berlin und zugleich den Rückgriff auf eine andere
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