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1Q84: Buch 1&2

Titel: 1Q84: Buch 1&2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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und hat mich gebeten zu kommen«, sagte sie. »Wirst du weiter Musikunterricht nehmen?«
    »Wenn mein Bein geheilt ist, mache ich wieder Judo. Wer Judo kann, muss niemals Hunger leiden. An unserer Schule werden die Judokas besonders gefördert. Man bekommt ein Zimmer im Wohnheim und Essensgutscheine für drei Mahlzeiten am Tag. Die Musiker nicht.«
    »Du willst auf keinen Fall Hilfe von deinem Vater annehmen, nicht wahr?«
    »Weil er so ist, wie er ist«, sagte Tengo.
    Die Lehrerin lächelte. »Das ist schade. Wo du so begabt bist.«
    Tengo sah zu der kleinen Lehrerin hinunter. Er erinnerte sich, wie er damals bei ihr übernachtet hatte, und sah ihre etwas unpersönliche, sehr aufgeräumte Wohnung vor sich. Spitzengardinen und ein paar Topfpflanzen. Ein Bügelbrett und aufgeschlagene Bücher. Ein kleines rosafarbenes Kleid, das irgendwo hing. Der Geruch des Sofas, auf dem er schlafen durfte. Jetzt erst merkte Tengo, dass die Frau, die vor ihm stand, schüchtern war wie ein junges Mädchen. Ihm wurde bewusst, dass er kein hilfloses zehnjähriges Kind mehr war, sondern ein kräftiger siebzehnjähriger junger Mann mit einer breiten Brust, Bartwuchs und einem unersättlichen sexuellen Appetit. Und seltsamerweise fand er den Umgang mit älteren Frauen besonders entspannend.
    »Schön, dass wir uns wieder einmal begegnet sind«, sagte die kleine Lehrerin.
    »Mich hat es auch sehr gefreut«, sagte Tengo und meinte es ehrlich. Aber an ihren Namen konnte er sich einfach nicht erinnern.

KAPITEL 15
    Aomame
    Fest verankern wie einen Luftballon
    Aomame achtete streng auf ihre Ernährung. Ihr täglicher Speiseplan bestand zum großen Teil aus Gemüsegerichten, dazu kamen Meeresfrüchte und Fisch, vor allem Weißfische. An Fleisch aß sie nur Geflügel. Sie verwendete ausschließlich frische Zutaten und nicht zu viele Gewürze. Fettreiche Speisen mied sie und nahm auch genügend Kohlehydrate zu sich. Statt fertiger Salatsoßen benutzte sie nur Olivenöl, Salz und Zitronensaft. Sie aß nicht einfach nur viel Gemüse, sondern beschäftigte sich auch mit dem Nährstoffgehalt und bemühte sich um eine ausgewogene Zusammenstellung. Sie stellte ihren eigenen Speiseplan zusammen und beriet auf Wunsch auch die Mitglieder des Sportclubs. Vom Kalorienzählen hielt sie nichts. Wer ein Gefühl dafür erlangt hatte, sich richtig und in angemessenen Portionen zu ernähren, brauchte sich darum keine Gedanken mehr zu machen.
    Dennoch lebte sie nicht ausschließlich nach ihrem asketischen Speiseplan, es kam auch vor, dass sie, wenn sie Heißhunger darauf verspürte, in ein Restaurant ging und ein großes Steak oder ein Lammkotelett bestellte. Den unbezähmbaren Appetit auf ein Nahrungsmittel deutete sie als den Hinweis ihres Körpers auf einen Mangel, sozusagen einen Ruf der Natur, dem zu folgen war.
    Aomame trank gern Wein und japanischen Sake, doch um ihre Leber zu schonen und auch nicht zu viel Zucker zu sich zu nehmen, verzichtete sie an drei Tagen in der Woche ganz auf Alkohol. Aomame betrachtete ihren Körper als einen geheiligten Tempel, der unter allen Umständen stets rein gehalten werden musste. Makellos rein. Was genau sie dort anbetete, war eine andere Frage. Darüber konnte sie später auch noch nachdenken.
    Momentan hatte sie kein Gramm Fett zu viel an ihrem Körper und eine ausgeprägte Muskulatur. Diesen Zustand überprüfte sie einmal täglich nackt vor dem Spiegel. Sie war fasziniert von ihrem Körper, auch wenn sie ihre Brüste nicht groß genug fand – ganz zu schweigen von der Asymmetrie zwischen der rechten und der linken – und ihr Schamhaar wucherte, dass es aussah wie ein von einer Infanterieeinheit niedergetrampeltes Gebüsch. Unwillkürlich runzelte sie jedes Mal ein wenig die Stirn, wenn sie sich im Spiegel anschaute. Immerhin hatte sie kein Fett an sich. Der Kneiftest ergab kein überschüssiges Fleisch.
    Aomame führte ein bescheidenes Leben. Nur für Lebensmittel gab sie bewusst viel Geld aus. So trank sie nur gute Weine. Diese Ausgaben reuten sie nicht. Wenn sie essen ging, wählte sie ein Lokal, in dem anständig und sorgfältig gekocht wurde. Andere Güter bedeuteten ihr nicht viel.
    Sie hatte wenig Interesse an Kleidung, Kosmetika und Schmuck. Für das Sportstudio genügte eine saloppe Garderobe wie Jeans und Pullover. Einmal dort angekommen, verbrachte sie ohnehin den ganzen Tag in Trainingskleidung. Schmuck oder Accessoires konnte sie dort natürlich nicht tragen. Die Gelegenheit, sich schick zu machen und

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