1Q84: Buch 1&2
Aber so plötzlich konnte sie sich nicht entscheiden.
»Weißt du, ich habe gerade etwas auf dem Herd«, sagte sie. »Kannst du vielleicht in einer halben Stunde noch mal anrufen?«
»Klar. Also dann in einer halben Stunde.«
Aomame legte auf und garte ihr Pfannengericht. Dazu machte sie sich eine Misosuppe mit Sojabohnenkeimen und braunen Reis. Sie trank eine halbe Dose Bier, den Rest goss sie in die Spüle und wusch anschließend ab. Gerade hatte sie sich mit einem Seufzer aufs Sofa fallen lassen, als Ayumi wieder anrief.
»Vielleicht können wir zusammen essen gehen«, sagte Ayumi. »Es ist so langweilig, immer allein zu essen.«
»Du isst immer allein?«
»Na ja, eigentlich gibt es im Wohnheim Verpflegung. Beim Essen herrscht immer ein Riesengetümmel. Ich hätte nichts dagegen, mal wieder ganz gemütlich und in Ruhe was Gutes zu essen, möglichst in einem schicken Restaurant. Aber allein habe ich keine Lust. Kennst du das Gefühl?«
»Natürlich.«
»Aber ich habe niemanden, mit dem ich essen gehen könnte. Weder Mann noch Frau. Alle hocken ständig nur in irgendwelchen Kneipen. Also habe ich mich gefragt, ob wir vielleicht mal zusammen in ein schönes Restaurant gehen könnten. Aber vielleicht hast du ja auch keine Lust?«
»Doch, warum nicht?«, sagte Aomame. »Also abgemacht, wir beide gehen ganz schick essen. Bei mir ist das auch schon länger her.«
»Wirklich?«, sagte Ayumi. »Ich freue mich!«
»Bleibt es bei übermorgen?«
»Am Tag darauf habe ich frei. Kennst du ein gutes Restaurant?«
Aomame nannte ein französisches Restaurant in Nogizaka.
Als Ayumi den Namen hörte, schluckte sie. »Das ist doch total berühmt. Und wahnsinnig teuer. Dafür reicht mein Gehalt nicht aus. Außerdem habe ich in einer Zeitschrift gelesen, dass man da zwei Monate im Voraus reservieren muss.«
»Keine Angst. Der Inhaber ist Mitglied in dem Sportstudio, in dem ich arbeite. Ich bin sein Personal Trainer. Außerdem berate ich ihn ein bisschen wegen der Nährwerte der Gerichte auf seiner Speisekarte. Deshalb bekomme ich jederzeit einen Tisch und einen ordentlichen Preisnachlass. Allerdings wird es wahrscheinlich kein besonders guter Tisch sein.«
»Ich würde auch in der Besenkammer sitzen.«
»Also gehen wir mal richtig schick essen.«
Als sie aufgelegt hatte, wurde Aomame zu ihrer Überraschung bewusst, dass sie eine spontane Zuneigung für die junge Polizistin empfand. Es war das erste Mal seit Tamaki Otsukas Tod, dass sie ein solches Gefühl verspürte. Natürlich war es etwas ganz anderes als das, was sie für Tamaki empfunden hatte. Aber immerhin war es schon sehr lange her, dass sie auch nur in Betracht gezogen hatte, mit jemandem essen zu gehen. Noch dazu, wo ihre neue Freundin ausgerechnet Polizistin war. Aomame seufzte. Es ging schon seltsam zu auf der Welt.
Aomame trug ein blaugraues Kleid mit kurzen Ärmeln und hohe Schuhe von Feragamo, dazu Ohrringe und ein schmales goldenes Armband. Um die Schultern hatte sie sich eine kleine weiße Strickjacke gehängt. Die übliche Umhängetasche ließ sie zu Hause (den Eispick natürlich auch) und entschied sich stattdessen für eine kleine Handtasche von La Bagagerie. Ayumi hatte sich in ein einfaches schwarzes Jackett von Commes des Garçons, ein großes ausgeschnittenes braunes T-Shirt und einen geblümten weiten Rock geworfen, dazu trug sie wieder die Gucci-Tasche, kleine Perlohrstecker und flache braune Schuhe. Sie wirkte viel hübscher und eleganter als beim letzten Mal. Und ganz und gar nicht wie eine Polizistin.
Nach einem leichten Mimosa – Champagner mit Orangensaft – an der Bar wurden die beiden an ihren Tisch geführt. Es war keineswegs ein schlechter Tisch. Der Küchenchef kam in den Gastraum, um Aomame zu begrüßen. Der Wein gehe aufs Haus, sagte er.
»Sie müssen entschuldigen, aber wir haben ihn schon entkorkt und probiert. Wir hatten gestern eine Reklamation wegen seines Geschmacks und haben dem Gast daraufhin einen anderen Wein serviert. An diesem gibt es nicht das Geringste auszusetzen. Aber der betreffende Gast ist ein bekannter Politiker und gilt in seinen Kreisen – nicht ganz verdient – als großer Weinkenner. Beschwert hat er sich wohl vor allem, um sich vor seinen Begleitern ein bisschen wichtig zu machen. Ob dieser Burgunder nicht etwas zu viel Säure habe? Da der Mann ist, wer er ist, haben wir entsprechend reagiert: ›Ja, der Herr hat völlig recht, der Wein hat vielleicht ein wenig zu viel Säure. Möglicherweise hat
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