1Q84: Buch 1&2
man im Lager des Importeurs nicht aufgepasst. Wir bringen Ihnen sofort eine andere Flasche. Da erkennt man doch gleich den Connaisseur …‹ Auf diese Weise gibt es keinen Ärger. Und – ich darf es eigentlich nicht laut sagen – man kann die Rechnung ja entsprechend erhöhen. Das geht sowieso auf Spesen. Aber ein Restaurant wie das unsere reagiert selbstverständlich auf jede Beschwerde.«
»Aber uns macht so was ja nichts aus.«
Der Küchenchef zwinkerte ihr zu. »Bestimmt nicht, oder?«
»Natürlich nicht.«
»Überhaupt nichts.«
»Ist diese hübsche junge Dame Ihre Schwester?«, erkundigte der Chef sich bei Aomame.
»Sehen wir denn aus wie Schwestern?«, fragte Aomame.
»Nicht direkt, aber Sie haben eine ähnliche Ausstrahlung«, sagte der Küchenchef.
»Wir sind befreundet«, erklärte Aomame. »Sie ist Polizistin.«
»Wirklich?« Der Küchenchef musterte Ayumi noch einmal mit ungläubiger Miene. »Sie haben eine Pistole und gehen auf Streife?«
»Aber ich habe noch nie auf jemanden geschossen«, sagte Ayumi.
»Ich hoffe, ich habe nichts Falsches gesagt.«
Ayumi schüttelte den Kopf. »Aber nein, gar nicht.«
Der Chef faltete lächelnd die Hände vor der Brust. »Jedenfalls ist das hier ein Burgunder, den ich Ihnen mit bestem Gewissen empfehlen kann. Er stammt von einem alten, angesehenen Weingut, ist ein guter Jahrgang und kostet, wenn man ihn regulär bestellt, mehrere zehntausend Yen.«
Ein Kellner erschien und schenkte den beiden ein. Aomame und Ayumi stießen mit dem kostbaren Wein an. Es klang wie fernes Himmelsgeläut, als ihre Gläser sanft aufeinandertrafen.
»Ah, einen so köstlichen Wein trinke ich zum ersten Mal in meinem Leben«, sagte Ayumi mit halb geschlossenen Augen, nachdem sie einen Schluck genommen hatte. »Wer in aller Welt würde sich über diesen Wein beschweren?«
»Es gibt Leute, die sich über alles beschweren«, sagte Aomame.
Ausführlich studierten die beiden die Speisekarte. Ayumi las sie gewissenhaft zweimal von vorn bis hinten durch, wie ein tüchtiger Rechtsanwalt einen wichtigen Vertrag studiert. Hatte sie auch nichts Wichtiges übersehen? Oder verbarg sich doch irgendwo ein raffiniertes Schlupfloch? Sie ließ sich die verschiedenen Bedingungen und Klauseln angestrengt durch den Kopf gehen und überdachte das sich daraus ergebende Resultat. Sie wog Vor- und Nachteile genau ab. Aomame beobachtete sie interessiert von ihrem Platz gegenüber.
»Hast du dich entschieden?«, fragte sie.
»Einigermaßen«, sagte Ayumi.
»Und was nimmst du?«
»Die Miesmuschelsuppe, den Salat aus drei Zwiebelsorten und dann das in Bordeaux gesimmerte Hirn vom Iwate-Kalb. Und du?«
»Linsensuppe, die Platte aus gemischten Frühlingsgemüsen, dann in Folie gebackenen Seeteufel mit Polenta. Rotwein passt nicht so gut dazu, aber ich will nicht meckern, er geht ja aufs Haus.«
»Können wir voneinander probieren?«
»Natürlich«, sagte Aomame. »Und wenn es dir recht ist, teilen wir uns als Vorspeise eine Portion frittierte junge Garnelen.«
»Wunderbar«, sagte Ayumi.
»Wir klappen besser die Speisekarten zu«, erklärte Aomame. »Sonst kommt der Kellner nie.«
»Gewiss.« Ayumi schloss bedauernd die Karte und legte sie auf den Tisch zurück. Sofort erschien der Kellner, um ihre Bestellung aufzunehmen.
»Kaum habe ich bestellt, habe ich das Gefühl, das Falsche bestellt zu haben«, sagte Ayumi, als der Kellner gegangen war. »Geht dir das auch so?«
»Und wenn schon, es ist doch nur Essen. Besser als im richtigen Leben einen Fehler zu machen. Dagegen ist das doch eine Lappalie.«
»Wenn man es so sieht, natürlich«, sagte Ayumi. »Aber für mich ist es wichtig. Schon als Kind war das bei mir so. Ständig habe ich meine Entscheidung bereut: ›Ach, hätte ich doch lieber statt dem Hamburger eine Shrimp-Krokette genommen.‹ Warst du schon immer so gelassen?«
»In der Familie, in der ich aufgewachsen bin, war es aus bestimmten Gründen nicht üblich, essen zu gehen. Das gab es nicht. Nie. Soweit ich zurückdenken kann, waren wir nicht ein einziges Mal in einem Restaurant. Eine Speisekarte gelesen, mir etwas ausgesucht und bestellt, was ich gern essen möchte, habe ich zum ersten Mal, als ich schon erwachsen war. Bis dahin habe ich tagein, tagaus gegessen, was auf den Tisch kam. Auch wenn es mir nicht schmeckte oder zu wenig war, es wurde sich nicht beschwert. Aber um die Wahrheit zu sagen, diese Dinge bedeuten mir auch heute nicht viel.«
»Ach so? Das wirkt aber
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