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1Q84: Buch 1&2

Titel: 1Q84: Buch 1&2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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erzählt hatten. An damals, als sie einander berührt hatten … Plötzlich fiel ihr auf, dass der nächtliche Himmel vor ihr irgendwie anders aussah als sonst. Etwas hatte sich verändert. Es war etwas Fremdes dort, ein leichter, aber eindeutiger Unterschied.
    Es dauerte einen Augenblick, bis ihr klar wurde, was es war. Und auch nachdem sie es entdeckt hatte, konnte sie es kaum glauben. Sie traute ihren Augen nicht.
    Am Himmel standen zwei Monde. Ein großer und ein kleiner. Nebeneinander. Der große war der ihr vertraute gute alte Mond. Er war fast voll und gelb. Aber neben ihm befand sich ein weiterer Mond, der ihr ganz und gar nicht vertraut war. Er war ein wenig asymmetrisch und grünlich, wie von zartem Moos überwachsen. Das war es, was sie sah.
    Aomame kniff die Augen zusammen und starrte die beiden Monde an. Dann schloss sie die Augen, wartete einen Moment, atmete tief durch und öffnete sie wieder. Sie hoffte, alles wäre wieder beim Alten, und es würde wieder nur ein Mond am Himmel stehen. Aber die Lage blieb die gleiche. Es war weder eine optische Täuschung, noch stimmte etwas nicht mit ihren Augen. Kein Zweifel: Am Himmel standen, hübsch säuberlich nebeneinander, zwei Monde. Ein gelblicher und ein grüner.
    Aomame überlegte erst, ob sie Ayumi wecken sollte. Um sie zu fragen, ob da wirklich zwei Monde am nächtlichen Himmel waren. Aber sie entschied sich dagegen. Vielleicht würde Ayumi sagen: »Das ist doch ganz normal. Seit vorigem Jahr haben wir zwei Monde.« Oder: »Was redest du da, Aomame? Ich sehe nur einen. Mit deinen Augen stimmt wohl was nicht?« Wie auch immer die Antwort ausfallen würde, ihr Problem wäre damit nicht gelöst. Es würde alles nur noch schlimmer machen.
    Das Kinn in die Hände geschmiegt, starrte Aomame die beiden Monde an. Irgendetwas musste im Gange sein. Ihr Herzschlag beschleunigte sich. Entweder mit der Welt stimmt etwas nicht oder mit mir, dachte sie. Eins von beidem. Liegt es am Topf oder am Deckel?
    Sie kehrte in die Wohnung zurück, schloss die Glastür und zog die Vorhänge zu. Sie nahm eine Flasche Brandy aus der Vitrine und schenkte sich ein Glas ein. Vom Bett waren Ayumis friedliche Atemzüge zu hören. Aomame ließ ihren Blick auf ihr ruhen, während sie in kleinen Schlucken ihren Brandy trank. Dann stützte sie beide Ellbogen auf den Küchentisch und bemühte sich, nicht an das zu denken, was sich jenseits der Vorhänge hinter ihr befand.
    Möglicherweise, dachte sie, geht die Welt wirklich ihrem Ende entgegen.
    »Und dann kommt das Königreich«, flüsterte Aomame.
    »Ich kann’s kaum erwarten«, sagte irgendwer irgendwo.

KAPITEL 16
    Tengo
    Ich bin froh, dass es dir gefällt
    Nach den zehn Tagen, in denen Tengo das Manuskript von »Die Puppe aus Luft« sozusagen runderneuert hatte, trat so etwas wie eine Flaute ein. Es waren sehr ruhige Tage. Dreimal in der Woche unterrichtete er an der Yobiko, einmal traf er sich mit seiner verheirateten Freundin. In der übrigen Zeit erledigte er verschiedene Arbeiten im Haushalt, ging spazieren und schrieb an seinem Roman. So verging der April. Die Kirschblüten fielen, junge Blätter sprossen, und die Magnolien standen in voller Blüte. Allmählich änderte sich die Jahreszeit. Die Tage verliefen gleichförmig, reibungs- und ereignislos. Es war genau das Leben, das Tengo sich immer gewünscht hatte. Eine Woche ging bruchlos und fast unmerklich in die nächste über.
    Dennoch spürte Tengo eine Veränderung. Eine Veränderung zum Besseren . Beim Schreiben wurde ihm bewusst, dass eine Art neue Quelle in ihm entstanden war. Es war zwar ein bescheidener, zwischen Felsen verborgener Quell, der nicht sonderlich ergiebig sprudelte. Doch auch wenn die Menge gering war, floss das Wasser unaufhörlich. Er hatte es nicht eilig, er war nicht ungeduldig. Er konnte warten, bis sich genügend Wasser in den felsigen Vertiefungen gesammelt hatte, um es dann mit hohlen Händen auszuschöpfen. Anschließend brauchte er sich nur noch an den Schreibtisch zu setzen und das Geschöpfte in Text zu verwandeln. So nahm seine Geschichte ganz natürlich ihren Lauf.
    Womöglich hatte er durch die angestrengte, konzentrierte Arbeit am Manuskript von »Die Puppe aus Luft« einen Felsen gesprengt, der die Quelle bis dahin blockiert hatte. Die Gründe dafür waren Tengo nicht klar, aber ganz offenbar hatte eine Reaktion stattgefunden. Ein schwerer Deckel hatte sich endlich gehoben. Es fühlte sich an, als habe er einen engen Raum verlassen und könne

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