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1Q84: Buch 1&2

Titel: 1Q84: Buch 1&2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Arme und Beine nun frei bewegen. Wahrscheinlich hatte »Die Puppe aus Luft« etwas in Bewegung gebracht, das bereits in ihm gewesen war.
    So etwas wie Ehrgeiz war in ihm entstanden. Er konnte sich nicht erinnern, jemals Derartiges empfunden zu haben. Seine Judo-Trainer an Oberschule und Uni hatten ihm sogar häufig einen Mangel in dieser Hinsicht vorgeworfen. »Du hast Talent und Kraft, trainieren tust du auch genügend, aber Ehrgeiz hast du keinen.« Und genau so war es. Der »Wille zum Sieg« war bei Tengo sehr schwach ausgeprägt. So kam es öfter vor, dass er zwar das Halbfinale oder sogar das Finale erreichte, aber wenn es hart auf hart kam, zu leicht aufgab. Diese Neigung hatte Tengo nicht nur beim Judo, sondern bei allem, was er tat. Er war sehr nachgiebig, wollte eigentlich niemals etwas um jeden Preis erreichen. Ebenso verhielt es sich mit seinen Ambitionen beim Schreiben. Er schrieb nicht schlecht und brachte sogar ein paar recht ordentliche Geschichten zustande. Aber sie besaßen nicht die Macht, den Leser völlig in ihren Bann zu ziehen. Nach der Lektüre blieb stets eine gewisse Unzufriedenheit zurück, das Gefühl, dass etwas gefehlt hatte. So kam Tengo mit seinen Bewerbungen um den Preis für das beste Erstlingswerk zwar stets in die engere Wahl, aber für sich entscheiden konnte er sie nie.
    Nachdem Tengo die Arbeit an »Die Puppe aus Luft« beendet hatte, verspürte er zum ersten Mal in seinem Leben eine starke Gereiztheit. Beim Umschreiben des Manuskripts hatte er sich völlig in den Text vertieft. Hatte die Hände über die Tastatur gleiten lassen, ohne an irgendetwas anderes zu denken. Als er fertig war und das Manuskript Komatsu übergeben hatte, überfiel ihn zunächst eine große Erschöpfung. Als sie schließlich nachließ, trat eine Art Zorn an ihre Stelle, der aus seinem tiefsten Inneren zu kommen schien. Dieser Zorn richtete sich gegen ihn selbst. »Ich habe mir die Geschichte eines anderen Menschen angeeignet und sie in eine Fälschung verwandelt. Und das mit größerer Begeisterung, als ich sie je für meine eigenen Werke aufbringen konnte.« Dieser Gedanke erzürnte und beschämte Tengo. War er denn nicht selbst ein Schriftsteller? Konnte er keine eigenen Geschichten hervorbringen und mit den richtigen Worten schildern? War das nicht erbärmlich? Wer so gerne schrieb wie er, hätte doch auch in der Lage sein sollen, etwas Eigenes zustande zu bringen, oder?
    Aber das musste er erst beweisen.
    Tengo beschloss, sich völlig von dem zu lösen, was er bisher verfasst hatte, und seine sämtlichen alten Manuskripte wegzuwerfen. Auf unbeschriebenem weißem Papier ganz von vorne anzufangen. Lange lauschte er mit geschlossenen Augen auf die kleine Quelle, die in ihm zu sprudeln begonnen hatte. Endlich quollen die Worte ganz natürlich aus Tengo hervor, und langsam fügte er eines nach dem anderen zu einem Text zusammen.
    Im Mai erhielt er nach einer längeren Pause wieder einen Anruf von Komatsu. Es war kurz vor neun Uhr abends.
    »Wir haben ihn«, sagte Komatsu. In seiner Stimme schwang eine gewisse, für ihn ungewöhnliche Erregung mit.
    Anfangs verstand Tengo nicht richtig, was Komatsu meinte. »Wen haben wir?«
    »Das fragst du noch? ›Die Puppe aus Luft‹ hat gerade den Preis für das beste Erstlingswerk bekommen. Die Jury hat sich einstimmig dafür entschieden. Offenbar gab es nicht mal eine Diskussion. Aber das war ja klar. Die einzige Arbeit, die das Zeug dazu hatte. Jedenfalls läuft die Sache an. Jetzt sitzen wir wirklich alle in einem Boot. Wir müssen fest zusammenhalten.«
    Tengo warf einen Blick auf den Kalender. Tatsächlich, es war der Tag der Preisvergabe. Er war so in seine eigene Arbeit vertieft gewesen, dass er nicht auf das Datum geachtet hatte.
    »Und was passiert jetzt? Ich meine, wie geht es offiziell weiter?«, fragte Tengo.
    »Morgen steht es in allen Zeitungen. Landesweit erscheinen Artikel. Eventuell auch Fotos. Unsere süße Siebzehn dürfte die Sensation des Tages werden. Das ist medienwirksam. Ein dreißigjähriger Yobiko-Mathematiklehrer, der aussieht wie ein eben aus dem Winterschlaf erwachter Bär, könnte da als Preisträger nicht mithalten.«
    »Ein Unterschied wie Feuer und Wasser«, sagte Tengo.
    »Die Preisverleihung findet am 16. Mai in einem Hotel in Shimbashi statt. Es gibt auch eine Pressekonferenz.«
    »Nimmt Fukaeri daran teil?«
    »Besser wäre es. Zumindest dieses eine Mal. Undenkbar, dass die Preisträgerin nicht an der Verleihung teilnimmt. Wenn

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