Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

1Q84: Buch 1&2

Titel: 1Q84: Buch 1&2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
Vom Netzwerk:
ja?«
    Fukaeri machte eine kleine Pause. »Von einer Ziege, die nicht sehen kann«, sagte sie dann.
    »So ist es gut«, sagte Tengo.
    »›Blind‹ soll ich nicht sagen«, vergewisserte sich Fukaeri.
    »Genau. Aber deine Antwort ist sehr gut.«
    Tengo fragte weiter. »Was sagen Ihre Mitschüler dazu, dass Sie den Preis bekommen haben?«
    »Ich gehe nicht zur Schule.«
    »Warum gehen Sie nicht zur Schule?«
    Keine Antwort.
    »Werden Sie nun weiterschreiben?«
    Schweigen.
    Tengo trank seinen Kaffee aus und stellte die Tasse auf den Unterteller zurück. Aus den in die Decke eingelassenen Lautsprechern ertönte leise Geigenmusik. Sie stammte aus The Sound of Music. Regentropfen, Rosen, Schnurrbart vom Kätzchen.
    »War das falsch«, fragte Fukaeri.
    »Nein, gar nicht«, antwortete Tengo. »Keineswegs. Sehr gut.«
    »Da bin ich froh«, sagte Fukaeri.
    Tengo empfand es wirklich so. Auch wenn sie jedes Mal nur einen Satz sagte und die Betonung fehlte, war ihre Art zu antworten perfekt. Vor allem, weil sie so prompt war. Und weil sie ihrem Gegenüber dabei fest und ohne zu blinzeln in die Augen sah. Das unterstrich die Ehrlichkeit ihrer Antwort und bewies, dass sie mit der Kürze ihrer Antworten die Leute nicht für dumm verkaufen wollte. Außerdem würde niemand genau verstehen, was sie sagte. Ebendas war es, was Tengo wollte. Dass sie den Eindruck von Aufrichtigkeit vermittelte und die Reporter zugleich einnebelte.
    »Was ist Ihr Lieblingsbuch?«
    »Die Geschichte von den Heike .«
    Eine tolle Antwort, dachte Tengo. »Was gefällt Ihnen an der Geschichte von den Heike ?«
    »Alles.«
    »Und was mögen Sie noch?«
    »Die Geschichten aus alter Zeit .«
    »Lesen Sie keine moderne Literatur?«
    Fukaeri überlegte einen Moment. »›Sansho, der Landvogt‹.«
    Großartig. Die Erzählung von Ogai Mori stammte aus dem Jahre 1915. Anfang der Taisho-Zeit. Das verstand sie also unter moderner Literatur.
    »Haben Sie Hobbys?«
    »Musik hören.«
    »Welche Musik hören Sie?«
    »Ich mag Bach.«
    »Gibt es ein Werk, das Ihnen besonders gut gefällt?«
    »BWV 846 bis BWV 893.«
    Tengo dachte nach und sagte dann: » Das Wohltemperierte Klavier . Teil eins und zwei.«
    »Ja.«
    »Warum haben Sie die Nummern genannt?«
    »Die kann ich mir leichter merken.«
    Für einen Mathematiker war Das wohltemperierte Klavier die reinste Himmelsmusik. Jeder Teil umfasste vierundzwanzig Satzpaare aus Präludium und Fuge. Alle zwölf Tonarten kamen darin jeweils in Dur und Moll zum Einsatz. Erster und zweiter Teil ergaben zusammen achtundvierzig Stücke.
    »Und was noch?«
    »BWV 244.«
    Tengo konnte sich nicht sofort erinnern, worum es sich bei BWV 244 handelte. Die Nummer kam ihm bekannt vor, aber der Titel fiel ihm nicht ein.
    Fukaeri begann zu singen:
    Buß’ und Reu’
    Buß’ und Reu’
    Knirscht das Sündenherz entzwei
    Buß’ und Reu’
    Buß’ und Reu’
    Knirscht das Sündenherz entzwei
    Knirscht das Sündenherz entzwei
    Buß’ und Reu’
    Buß’ und Reu’
    Knirscht das Sündenherz entzwei
    Buß’ und Reu’
    Knirscht das Sündenherz entzwei
    Dass die Tropfen meiner Zähren
    Angenehme Spezerei
    Treuer Jesu, dir gebären.
    Eine Zeit lang war Tengo sprachlos. Die Töne stimmten nicht ganz, aber ihre deutsche Aussprache wirkte erstaunlich klar und präzise.
    »Die Matthäus-Passion «, sagte Tengo. »Du kannst den Text!«
    »Nein, eigentlich nicht«, antwortete die junge Frau.
    Tengo wollte etwas sagen, aber ihm fehlten wieder die Worte. Ergeben schaute er auf seine Notizen und ging zur nächsten Frage über.
    »Haben Sie einen Freund?«
    Fukaeri schüttelte den Kopf.
    »Warum denn nicht?«
    »Weil ich nicht schwanger werden möchte.«
    »Aber man muss doch nicht unbedingt schwanger werden, nur weil man einen Freund hat.«
    Fukaeri sagte nichts. Sie schloss und öffnete nur mehrmals ruhig ihre Lider.
    »Warum möchten Sie nicht schwanger werden?«
    Fukaeri blieb stumm. Tengo hatte das Gefühl, eine völlig idiotische Frage gestellt zu haben.
    »Lass uns aufhören. Das reicht«, sagte er und packte seine Liste wieder in die Mappe. »Eigentlich wissen wir ja gar nicht, welche Fragen drankommen. Du antwortest einfach, wie du willst. Du schaffst das schon.«
    »Da bin ich froh«, sagte Fukaeri sichtlich erleichtert.
    »Du findest es sowieso sinnlos, dich auf irgendwelche Interviewfragen vorzubereiten, stimmt’s?«
    Fukaeri zuckte leicht mit den Schultern.
    »Ich kann dir nur recht geben. Mir gefällt das auch nicht. Aber Herr Komatsu hat mich

Weitere Kostenlose Bücher