1Q84: Buch 1&2
hielt ihn Tengo vor die Nase. Wie ein Dirigent, der mit dem Taktstock auf einen Solisten deutet. »Dieses Mädchen Fukaeri hat etwas Besonderes. Das ist mir bei der Lektüre von ›Die Puppe aus Luft‹ klar geworden. Sie besitzt eine außergewöhnliche Vorstellungskraft. Aber leider kann ihre Schreibkompetenz damit nicht Schritt halten. Ihr ganzer Stil ist völlig ungeschliffen. Da kannst du etwas tun. Der Plot ist gut und ergibt sogar einen Sinn. Der Text wirkt nur grob, ist aber intellektuell feinfühlig. Eine gewisse Dynamik ist auf jeden Fall auch vorhanden. Allerdings wissen wir im Gegensatz zu unserer kleinen Fukaeri noch nicht ganz, was wir schreiben sollen. Denn hin und wieder verliert man den Faden der Geschichte. Du musst dir über den Kern der Geschichte klar werden, damit du weißt, was du schreiben sollst. Er ist wie ein furchtsames kleines Tier, das sich in einer tiefen Höhle verkrochen hat und nicht herauskommt. Du weißt, dass es sich in der Höhle versteckt hält, aber wenn du es nicht herauslockst, kriegst du es nicht zu fassen. Damit meine ich, dass du dir etwas Zeit lassen kannst.«
Tengo rutschte ratlos auf seinem Plastikstuhl herum. Er sagte nichts.
»Die Sache ist ganz einfach«, fuhr Komatsu, mit seinem Teelöffel wedelnd, fort. »Wir bringen zwei Leute zusammen und machen einen neuen Autor daraus. Tengo liefert den fertigen Text zu Fukaeris Rohfassung. Die ideale Kombination. Du bist der Einzige, der die Fähigkeit dazu besitzt. Deshalb habe ich mich doch die ganze Zeit um dich gekümmert. Verstehst du? Alles Weitere kannst du mir überlassen. Mit vereinten Kräften ist der Debütpreis ein Klacks. Das reicht auch, um auf den Akutagawa-Preis zu zielen. Und auch ich habe meine Zeit in dieser Branche nicht müßig verbracht. Ich weiß genau, wie der Hase läuft.«
Tengo starrte Komatsu mit leicht geöffnetem Mund an. Der legte den Kaffeelöffel auf die Untertasse zurück. Er hatte unnatürlich laut gesprochen.
»Und wenn wir den Akutagawa-Preis bekommen? Was passiert dann?«, fragte Tengo, als er sich gefangen hatte.
»Dann sind wir gemachte Leute. Die Mehrzahl der Menschen auf dieser Welt hat keine Ahnung von der Qualität eines Romans. Aber keiner möchte zurückbleiben, jeder möchte auf der Höhe der Zeit sein. Sobald also ein Buch einen Preis bekommt und überall besprochen wird, wird es gekauft und gelesen. Umso mehr, wenn die Autorin eine siebzehnjährige Schülerin ist. Wir könnten eine Menge verdienen. Und den Gewinn gerecht durch drei teilen. Darum werde ich mich kümmern.«
»Wie man das Geld aufteilt und so weiter, das ist doch jetzt egal.« Tengo krächzte etwas, weil seine Kehle so trocken war. »Aber widerspricht so etwas nicht Ihrer Berufsethik als Redakteur? Wenn das auffliegt, bekommen Sie Riesenprobleme. Wahrscheinlich werden Sie gefeuert.«
»So leicht fliegt das nicht auf. Dagegen kann ich uns absichern. Und wenn sie mich wirklich feuern, verlasse ich den Verlag mit Freuden. Ich bin sowieso unbeliebt bei denen da oben und werde mit ein paar Almosen abgespeist. Eine neue Stelle kann ich sofort wieder finden. Weißt du, es geht mir ja auch gar nicht ums Geld. Was ich will, ist, diesem ganzen eingebildeten Literaturbetrieb eins auszuwischen. Ich will diese Bande von Schwätzern, die in ihren Löchern sitzen und ständig so hochtrabend von der Botschaft der Literatur schwafeln, die sich selbst bemitleiden und einander in den Hintern kriechen, während sie gleichzeitig am Stuhl des anderen sägen, mal so richtig vorführen. Die Kehrseite des Systems bloßlegen und laut darüber lachen. Das wird ein Spaß, meinst du nicht?«
Tengo fand das nicht besonders spaßig. Eigentlich hatte er selbst den sogenannten Literaturbetrieb noch nie erlebt. Dass ein so fähiger Mann wie Komatsu aus derart kindischen Motiven heraus ein solches Risiko eingehen wollte, verschlug ihm für einen Augenblick fast die Sprache.
»Was Sie da vorschlagen, klingt für mich nach einer Art Betrug.«
»Teamwork ist nichts Ungewöhnliches.« Komatsu verzog das Gesicht. »Bei den meisten Mangas funktioniert das nicht anders. Ein Team entwickelt eine Idee und erfindet eine Geschichte, jemand zeichnet sie in Umrissen vor, und die Assistenten fügen die Details hinzu und malen alles farbig aus. So, wie in der Fabrik da drüben die Wecker hergestellt werden. Dafür gibt es auch in der Literatur viele Beispiele. Zum Beispiel diese Liebesschnulzen. Den Großteil erfinden angestellte Schriftsteller
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