1Q84: Buch 1&2
Besonderheiten auf, sodass man sie nicht voneinander unterscheiden konnte.
Sie kletterten vom Bett auf den Boden und zogen einen Gegenstand von der Größe eines Nikuman, eines mit Fleisch gefüllten Hefekloßes, hervor. Dann nahmen sie ihn in ihre Mitte und begannen eifrig daran herumzuhantieren. Das Ding war weiß, dick und elastisch. Die Little People reckten die Arme in die Höhe und spannen mit geübten Fingern einen weißen halbtransparenten Faden aus der Luft, mit dem sie das Ding allmählich vergrößerten. Dieser Faden schien über eine geeignete Klebrigkeit zu verfügen. Inzwischen hatten die Little People eine Körpergröße von fast sechzig Zentimetern erreicht. Offenbar konnten sie diese nach Bedarf variieren.
Stumm und emsig arbeiteten die Little People mehrere Stunden lang. Ihre Zusammenarbeit ging völlig reibungslos vonstatten. Tsubasa und die alte Dame schliefen die ganze Zeit über tief und ohne sich zu bewegen. Auch die anderen Frauen im Haus lagen in ungewöhnlich tiefem Schlummer. Die Schäferhündin schien zu träumen, ein Winseln entrang sich den Tiefen ihres Unterbewusstseins, und sie wälzte sich auf dem Rasen.
Und über allem standen, als hätten sie sich verabredet, die beiden Monde und tauchten die Welt in ihr seltsames Licht.
KAPITEL 20
Tengo
Die armen Giljaken
Tengo konnte nicht einschlafen. Fukaeri lag in seinem Pyjama im Bett und schlief fest. Er hatte sich auf der Couch ein einfaches Lager zurechtgemacht (sie war nicht unbequem, er hielt dort auch häufig ein Mittagsschläfchen), aber alles Liegen half nicht, er fühlte sich einfach nicht müde. Also setzte er sich an den Küchentisch und schrieb weiter an seinem Roman. Das Textverarbeitungsgerät stand im Schlafzimmer, daher schrieb er mit Kugelschreiber auf Aufsatzpapier. Er empfand das nicht als besonders umständlich. Wegen der größeren Geschwindigkeit und seiner Speicherkapazität war das Textverarbeitungsgerät natürlich praktisch, aber Tengo genoss es, die Zeichen auf diese altmodische Weise mit der Hand zu Papier zu bringen.
Jedenfalls kam es äußerst selten vor, dass Tengo mitten in der Nacht schrieb. Am liebsten arbeitete er, wenn es draußen hell war und die Menschen ihrem Tagewerk nachgingen. Schrieb er jedoch, wenn alles um ihn im Dunkeln lag und tiefe Stille herrschte, fielen seine Texte mitunter zu dicht und zu schwer aus. Teile, die er nachts verfasst hatte, musste er stets am Tag noch einmal umschreiben. So arbeitete er besser gleich bei Tageslicht.
Doch jetzt, als er seit längerer Zeit wieder einmal nachts mit seinem Kugelschreiber hantierte, arbeitete sein Verstand mühelos. Er sprühte vor Ideen, und seine Geschichte floss frei dahin. Ein Gedanke verband sich auf ganz natürliche Weise mit dem nächsten. Kaum einmal geriet der Fluss ins Stocken, und unablässig glitt die Spitze des Kugelschreibers mit einem leichten Schaben über das weiße Papier. Irgendwann ermüdete Tengos rechte Hand, und er bewegte die Finger in der Luft wie ein Pianist, der imaginäre Tonleitern übt. Es ging auf halb eins zu. Draußen herrschte eine fast unheimliche Stille. Die Wolken, die den Himmel über der Stadt wie eine dicke Schicht aus Watte bedeckten, schienen jedes überflüssige Geräusch zu ersticken.
Wieder ergriff er den Stift und reihte die Wörter auf dem Papier aneinander. Plötzlich fiel ihm etwas ein. Morgen war der Tag, an dem für gewöhnlich seine Freundin kam. Wie immer freitags gegen elf Uhr vormittags. Davor musste er Fukaeri noch irgendwie loswerden. Glücklicherweise benutzte sie kein Parfum, denn seine Freundin hätte den Geruch einer anderen Person in seinem Bett sofort bemerkt. Sie war von Natur aus sehr argwöhnisch und eifersüchtig. Dass sie selbst hin und wieder mit ihrem Mann schlief, spielte für sie keine Rolle. Doch Tengo brauchte nur mit einer anderen Frau auszugehen, und sie wurde ernsthaft böse.
»Dass ich mit meinem Mann schlafe, ist etwas völlig anderes«, hatte sie ihm erklärt. »Das geht auf separate Rechnungen.«
»Separat?«
»Das sind zwei ganz verschiedene Posten.«
»Du meinst in deinem Gefühlshaushalt?«
»Genau. Die verwendeten Körperteile sind zwar dieselben, aber es kommen unterschiedliche Gefühle zum Einsatz. Als erwachsene Frau besitze ich die Fähigkeit zu trennen. Aber dass du mit einer anderen Frau schläfst, kann ich nicht erlauben.«
»Das mache ich doch gar nicht«, sagte er.
»Auch wenn du mit keiner anderen Sex hast«, sagte seine Freundin,
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