1Q84: Buch 1&2
mal wieder richtig krachen lassen«, hätte Ayumi wohl gesagt. Was sollte Aomame tun? Sie konnte in die übliche Bar gehen und einen passenden Mann aufreißen. Bis Roppongi war es nur eine Station. Aber sie war zu müde. Außerdem war sie nicht in einem Aufzug, in dem man sich einen Mann anlachte. ungeschminkt, in Turnschuhen und mit einer Sporttasche aus Plastik in der Hand. Sie würde nach Hause fahren, eine Flasche Rotwein öffnen, masturbieren und schlafen. Das war das Beste. Und sie würde aufhören, über den Mond nachzudenken.
Der Mann, der Aomame von Hiroo bis Jiyugaoka in der Bahn gegenübersaß, war äußerlich ganz nach ihrem Geschmack. Etwa Mitte vierzig, ovales Gesicht, zurückweichender Haaransatz. Auch die Form seines Kopfes war nicht übel. Er hatte eine gesunde Gesichtsfarbe und trug eine modische Brille mit schmalem schwarzem Rahmen. Vernünftig gekleidet war er auch. Er trug ein leichtes Sommerjackett aus Baumwolle, ein weißes Polohemd und braune Slipper. Auf seinem Schoß lag eine lederne Aktenmappe. Seinem Erscheinungsbild nach war er ein Angestellter, hatte aber bestimmt keinen bequemen Job. Er hätte Verlagslektor oder Architekt in einem kleinen Architekturbüro sein können. Vielleicht hatte er auch etwas mit Mode zu tun. Er war in ein Taschenbuch vertieft.
Aomame wünschte sich, mit ihm irgendwohin zu gehen und wilden Sex zu haben. Sie stellte sich vor, wie sie den erigierten Penis des Mannes mit einer Hand fest umschloss. So fest, dass sie ihm das Blut abdrückte. Und mit der anderen Hand zärtlich seine Hoden massierte. Es juckte ihr in den Fingern, die auf ihren Knien lagen. Ohne es zu merken, öffnete und schloss sie ihre Hände. Ihr Atem ging schneller, ihre Schultern hoben und senkten sich. Langsam fuhr sie sich mit der Zungenspitze über die Lippen.
Aber in Jiyugaoka musste sie aussteigen. Ohne zu wissen, dass er das Objekt erotischer Phantasien geworden war, blieb der Mann bis wohin auch immer sitzen und las weiter in seinem Taschenbuch. Er schien die Frau auf dem Platz gegenüber nicht einmal bemerkt zu haben. Beim Aussteigen musste Aomame den Impuls unterdrücken, ihm sein blödes Taschenbuch aus der Hand zu reißen.
Um ein Uhr morgens lag Aomame in ihrem Bett. Sie schlief tief und hatte einen erotischen Traum. In diesem Traum hatte sie schöne Brüste von der Form und Größe von Pampelmusen. Ihre Brustwarzen waren hart und groß. Sie presste sie gegen den Unterleib eines Mannes. Sie schlief nackt mit gespreizten Beinen, ihre Kleider lagen auf dem Boden. Was die schlafende Aomame nicht wusste, war, dass noch immer die beiden Monde am Himmel standen. Der gute alte große Mond und der neue kleine.
Tsubasa und die alte Dame waren im selben Raum eingeschlafen. Tsubasa hatte sich in ihrem neuen karierten Pyjama ganz klein auf dem Bett zusammengerollt. Die alte Dame schlief in dem Lehnstuhl daneben. Um ihre Knie war eine Decke geschlagen. Sie hatte sich eigentlich zurückziehen wollen, sobald Tsubasa schlief, doch nun war sie selbst eingeschlafen. In dem Haus, das zurückgesetzt auf einer Anhöhe stand, war tiefe Stille eingekehrt. Nur das durchdringende Auspuffknattern eines durch entfernte Straßen rasenden Motorrads und das Heulen von Krankenwagensirenen waren gelegentlich zu hören. Auch die Schäferhündin schlief zusammengerollt vor der Eingangstür. Alle Vorhänge waren zugezogen, aber das weiße Licht der Quecksilberlaternen sickerte hindurch. Hin und wieder riss die Wolkendecke auf, und die beiden Monde erschienen. Die Weltmeere richteten nun ihre Gezeitenströme nach ihnen.
Tsubasa schlief mit leicht geöffnetem Mund, eine Wange in das Kissen geschmiegt. Sie atmete kaum merklich, und ihr Körper war fast bewegungslos. Nur ihre Schultern zuckten mitunter ein bisschen. Ihr Stirnhaar hing ihr in die Augen.
Bald öffnete sich langsam ihr Mund, und nacheinander krochen die Little People daraus hervor. Sich vorsichtig umschauend, kamen sie einer nach dem anderen heraus. Wenn die alte Dame aufgewacht wäre, hätte sie sie sehen können, aber sie schlief tief und fest. So bald würde sie nicht aufwachen. Die Little People wussten das. Insgesamt waren es fünf. Als sie aus Tsubasas Mund schlüpften, hatten sie etwa die Größe ihres kleinen Fingers, aber sobald sie im Freien standen, entfalteten sie sich wie Klappmöbel, bis sie eine Größe von etwa dreißig Zentimetern erreicht hatten. Alle trugen die gleiche, merkmalslose Kleidung. Auch ihre Gesichter wiesen keine
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