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1Q84: Buch 1&2

Titel: 1Q84: Buch 1&2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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»beleidigt es mich, wenn du allein die Möglichkeit in Betracht ziehst.«
    »Allein die Möglichkeit?«, fragte Tengo erstaunt.
    »Du scheinst weibliche Gefühle nicht zu verstehen. Und das, obwohl du Romane schreibst.«
    »Das kommt mir aber ziemlich unfair vor.«
    »Kann sein. Ich werde es wiedergutmachen«, sagte sie. Und das war nicht gelogen.
    Tengo war nicht unglücklich in der Beziehung zu seiner älteren Freundin. Sie war keine Schönheit im landläufigen Sinne, aber ihr Gesicht hatte etwas entschieden Einmaliges. Es gab vielleicht sogar Menschen, die es hässlich fanden. Aber Tengo hatte es von Anfang an gefallen. Außerdem gab es im Bett nicht das Geringste an ihr auszusetzen. Ihrerseits stellte sie keine großen Anforderungen an Tengo. Nur, dass sie einmal pro Woche drei oder vier Stunden zusammen verbrachten und miteinander schliefen. Wenn möglich zweimal. Und dass er sich keiner anderen Frau näherte. Im Grunde war das alles, was sie von ihm verlangte. Sie hing sehr an ihrer Familie und hatte nicht die Absicht, sie für Tengo aufzugeben. Es war nur so, dass die sexuelle Beziehung zu ihrem Mann sie nicht ausreichend befriedigte. Für beide – sie und Tengo – hielten sich die Vor- und Nachteile einigermaßen die Waage.
    Tengo verspürte kein besonderes Verlangen nach anderen Frauen. Was er vor allem brauchte, war, ungestört Zeit für sich verbringen zu können. Regelmäßiger Geschlechtsverkehr war garantiert, also gab es für ihn keine Veranlassung, nach anderen Frauen Ausschau zu halten. Er hatte ohnehin kein Interesse, gleichaltrige Frauen kennenzulernen. Sich zu verlieben, eine feste Beziehung einzugehen und die Verantwortung anzunehmen, die dies unweigerlich mit sich brachte, schien ihm nicht erstrebenswert. Die Entwicklungsphasen einer Beziehung, die Andeutungen hinsichtlich ihrer Möglichkeiten, die Erwartungshaltung, die kaum zu vermeidenden Konflikte – mit all diesen komplizierten Dingen wollte er sich möglichst nicht belasten.
    Schon die Vorstellung von Verpflichtungen machte Tengo Angst und ließ ihn zurückschrecken. So hatte er in seinem bisherigen Leben stets alle verpflichtenden Bindungen geschickt vermieden. Er lebte allein, frei und ruhig, indem er sich nicht in komplizierte zwischenmenschliche Beziehungen verwickeln ließ, Einschränkungen durch die Regeln anderer so gut wie möglich vermied und weder gab noch nahm. Er war konsequent und bereit, auch damit verbundene Nachteile in Kauf zu nehmen.
    So hatte es Tengo schon früh im Leben zu einer Methode gemacht, sich unauffällig zu verhalten. Er bemühte sich stets, seine Fähigkeiten herunterzuspielen, seine persönliche Meinung für sich zu behalten, sich nicht hervorzutun und sich überhaupt möglichst im Hintergrund zu halten. Tengo war von Kindheit an immer auf sich gestellt gewesen. Aber ein Kind ist nie wirklich unabhängig. Wenn sich ein starker Wind erhob, musste er sich eine Zuflucht suchen und sich an etwas festklammern, um nicht davongeweht zu werden. Nie durfte er die Gefahr aus den Augen verlieren. Wie die Waisenkinder in den Romanen von Dickens.
    Bisher war Tengos Leben einigermaßen günstig verlaufen. Es war ihm größtenteils gelungen, Verpflichtungen aus dem Weg zu gehen. Ohne an der Universität zu bleiben, eine feste Stelle anzunehmen oder zu heiraten, hatte er einen Beruf gefunden, der ihm vergleichsweise viel Freiheit ließ; er hatte eine Sexualpartnerin, die ihn befriedigte (und kaum Ansprüche stellte), und konnte seine reichlich vorhandene Zeit auf das Schreiben verwenden. Zu guter Letzt war er noch zufällig seinem literarischen Mentor Komatsu über den Weg gelaufen, dem er regelmäßige Aufträge verdankte. Von seinen Romanen war zwar noch keiner erschienen, aber ansonsten gab es in seinem Leben keine Einschränkungen. Er hatte keine Freunde und keine Freundin, die erwarteten, dass er sich mit ihnen verabredete. Bisher hatte er mit etwa zehn Frauen geschlafen. Keine der Beziehungen hatte länger gehalten, doch zumindest war er frei.
    Aber seit er das Manuskript von Fukaeris »Die Puppe aus Luft« in die Hände bekommen hatte, schien sein friedliches Leben an einigen Stellen aus den Fugen zu geraten. Zum einen hatte Komatsu ihn beinahe mit Gewalt in seinen riskanten Plan hineingezogen. Dann hatte die schöne junge Frau ihn auf eine persönliche und wundersame Weise in seinem Innersten berührt. Seine Arbeit an »Die Puppe aus Luft« schien einen Wandel in ihm hervorgerufen zu haben, durch den er nun

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