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1Q84: Buch 1&2

Titel: 1Q84: Buch 1&2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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menschenleeren Strand des Ochotskischen Meers, ein Gefangener grüblerischer Gedanken, die er nicht loswurde. Er konnte Tschechows düstere Stimmung teilen. Es musste eine Art niederschmetternder Ohnmacht gewesen sein, was er dort am äußersten Rand seiner Welt empfunden hatte. Es war wohl ein unentrinnbares bitteres Schicksal, ein russischer Autor des 19. Jahrhunderts zu sein. Je mehr er versuchte, Russland zu entkommen, desto mehr verleibte dieses Land sich ihn ein.
    Nachdem Tengo sein Weinglas ausgewaschen und sich im Bad die Zähne geputzt hatte, schaltete er in der Küche das Licht aus, legte sich aufs Sofa, deckte sich zu und versuchte zu schlafen. Er hatte noch immer das Donnern der Wellen im Ohr. Doch bald schwand sein Bewusstsein, und er sank in einen tiefen Schlaf.
    Als er erwachte, war es halb neun morgens. Fukaeri lag nicht mehr im Bett. Der Pyjama, den er ihr geliehen hatte, war zusammengeknäult und in die Waschmaschine im Bad geworfen worden. Ärmel und Beine waren noch aufgekrempelt. Auf dem Küchentisch lag ein Zettel, auf dem mit Kugelschreiber geschrieben stand: »Was ist heute aus den Giljaken geworden? Ich fahre nach Hause.« Die kleinen eckigen Schriftzeichen wirkten leicht unnatürlich. Von oben betrachtet sahen sie aus wie Muscheln, die jemand an einem Sandstrand gesammelt und aneinandergelegt hatte. Er faltete das Blatt und legte es in eine Schublade seines Schreibtisches. Wenn seine Freundin, die um elf Uhr kommen würde, es fände, bekäme er sicher Ärger.
    Tengo machte sorgfältig das Bett und stellte Tschechows beschwerliche Reise wieder ins Regal. Dann machte er sich Kaffee und Toast. Während des Frühstücks merkte er, dass sich irgendetwas Gewichtiges in seinem Inneren festgesetzt hatte. Es dauerte eine Zeit lang, bis ihm klar wurde, was es war. Es war Fukaeris ruhiges, schlafendes Gesicht.
    Ob er sich in die junge Frau verliebt hatte? Nein, kann nicht sein, sagte Tengo zu sich selbst. Es ist nur etwas an ihr, das hin und wieder eine besondere Schwingung in mir hervorruft. Aber warum hat mich dann der Pyjama, den sie getragen hat, so beeindruckt? Warum habe ich ihn (ohne dass es mir richtig bewusst war) in die Hand genommen und seinen Geruch eingesogen?
    Zu viele Fragen. »Ein Schriftsteller ist kein Mensch, der Fragen löst. Er ist ein Mensch, der Fragen aufwirft.« Sicherlich war es Tschechow, der das gesagt hatte. Ein weiser Spruch, aber Tschechow hatte diese Haltung nicht nur gegenüber seinem Werk eingenommen, sondern sein eigenes Leben stets genauso betrachtet. Darin gab es Fragestellungen, aber Lösungen gab es nicht.
    Wohlwissend, dass er unheilbar lungenkrank war (als Arzt musste er es wissen), bemühte Tschechow sich, diesen Umstand zu ignorieren, und glaubte nicht, dass es mit ihm zu Ende ging, bis er wirklich auf dem Totenbett lag. Er starb noch in jungen Jahren an starkem Lungenbluten.
    Kopfschüttelnd stand Tengo vom Tisch auf. Heute würde seine Freundin kommen. Er musste jetzt waschen und saubermachen. Nachdenken konnte er später immer noch.

KAPITEL 21
    Aomame
    Egal wie weit
    Aomame ging in die Stadtteilbibliothek und breitete nach dem gleichen Prozedere wie beim letzten Mal an einem der Tische die verkleinerten Ausgaben der Zeitungen aus. Sie wollte noch ein paar Fakten zu dem Feuergefecht zwischen Polizei und Extremisten recherchieren, das im Herbst vor drei Jahren in der Präfektur Yamanashi stattgefunden hatte. Das Hauptquartier dieser Vorreiter, von denen die alte Dame ihr berichtet hatte, lag ebenfalls in den Bergen von Yamanashi. Dort wo es die Schießerei gegeben hatte. Vielleicht nur ein Zufall. Aber daran glaubte Aomame nicht. Möglicherweise bestand doch ein Zusammenhang.
    Das Feuergefecht hatte sich am 9. Oktober 1981 ereignet (nach Aomames Rechnung »drei Jahre vor 1Q84«). Als sie das letzte Mal in der Bücherei die Zeitungsberichte gelesen hatte, hatte sie bereits eine Menge Einzelheiten über das Geschehen selbst erfahren. Heute wollte sie sich vor allem die Artikel ansehen, die an den Tagen danach erschienen waren und sich der Analyse widmeten.
    Beim ersten Schusswechsel waren drei Polizisten von in China hergestellten automatischen Kalaschnikows getötet und zwei mehr oder weniger schwer verletzt worden. Danach flüchteten die bewaffneten Extremisten in die Berge, wo es zu einer großangelegten Verfolgungsjagd kam. Eine voll ausgerüstete Luftlandetruppe der Selbstverteidigungsstreitkräfte wurde von einem Hubschrauber am Ort des Geschehens

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