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1Q84: Buch 1&2

Titel: 1Q84: Buch 1&2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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wurden, essen sie mit großem Vergnügen wie einen Leckerbissen. Und inzwischen ist es nicht selten, dass man in Alexandrovsk und Rykovskoe einen Giljaken antrifft, der ein großes rundes Brot unter dem Arm trägt.«
    Tengo machte eine Lesepause und holte Luft. Fukaeri hörte wie erstarrt zu, und ihre Miene zeigte keinerlei Regung.
    »Soll ich weiterlesen? Oder wollen wir ein anderes Buch nehmen?«, fragte er.
    »Ich möchte mehr über die Giljaken wissen.«
    »Dann lese ich weiter.«
    »Kann ich ins Bett«, fragte Fukaeri.
    »Ja, klar«, sagte Tengo.
    Also zogen die beiden ins Schlafzimmer um. Fukaeri legte sich ins Bett, Tengo zog sich einen Stuhl heran und fuhr fort zu lesen.
    »Die Giljaken waschen sich niemals, sodass es sogar den Ethnographen schwerfällt, die richtige Farbe ihrer Gesichter zu bestimmen. Die Wäsche wird nicht gewaschen, und ihre Pelzkleidung und das Schuhwerk sehen aus, als seien sie einem toten Hund abgezogen worden. Die Giljaken selbst verbreiten einen schweren, herben Geruch, und die Nähe ihrer Behausungen erkennt man an einem ekelhaften Gestank nach getrocknetem Fisch und Fischabfällen, der manchmal nicht zu ertragen ist. Neben jeder Jurte steht gewöhnlich eine Trockenkammer, die bis oben mit halbierten Fischen gefüllt ist, die von weitem, besonders wenn sie von der Sonne bestrahlt werden, Korallenketten ähnlich sehen. Neben diesen Kammern sah Krusenstern eine Menge kleiner Würmer, die drei Zentimeter hoch die Erde bedeckten.«
    »Krusenstern.«
    »Ein früher Forscher, glaube ich. Tschechow war sehr wissbegierig und hatte alle Bücher gelesen, die bis dahin über Sachalin geschrieben worden waren.«
    »Lesen Sie weiter.«
    »Im Winter ist die Jurte von beißendem Qualm erfüllt, der vom Herd kommt, dazu rauchen die Giljaken, ihre Frauen und sogar die Kinder noch Tabak. Über die Krankheiten und die Sterblichkeit der Giljaken ist nichts bekannt, aber man muss annehmen, dass diese hygienisch ungesunde Umgebung nicht ohne schädlichen Einfluss auf ihre Gesundheit bleibt. Vielleicht ist sie schuld am kleinen Wuchs der Giljaken, der Aufgedunsenheit ihrer Gesichter, einer gewissen Schlaffheit und Faulheit.«
    »Die armen Giljaken«, sagte Fukaeri.
    »Über den Charakter der Giljaken äußern sich die Autoren verschieden, aber alle sind sich darin einig, dass dieses Volk nicht kampflustig ist, keine Streitigkeiten und Schlägereien liebt und sich gut mit seinen Nachbarn verträgt. Gegenüber neu angekommenen Menschen waren sie immer misstrauisch, sie fürchteten für ihre Zukunft, aber sie begegneten ihnen jedes Mal liebenswürdig, ohne den kleinsten Protest. Sie logen höchstens, wenn sie Sachalin in den düstersten Farben schilderten, um damit die Ausländer von der Insel fernzuhalten. Die Begleiter Krusensterns umarmten sie, und als L. I. Šrenk erkrankte, verbreitete sich diese Nachricht sehr schnell unter den Giljaken und rief aufrichtige Trauer hervor. Sie lügen nur, wenn sie Handel treiben oder sich mit einem verdächtigen und nach ihrer Meinung gefährlichen Menschen unterhalten, aber bevor sie eine Lüge aussprechen, werfen sie einander Blicke zu – wie die Kinder. Jede Lüge und Prahlerei in einer gewöhnlichen, nicht geschäftlichen Angelegenheit ist ihnen widerlich.«
    »Die guten Giljaken«, sagte Fukaeri.
    »Wenn die Giljaken Aufträge übernehmen, führen sie diese gewissenhaft aus. Es ist noch nicht vorgekommen, dass ein Giljake unterwegs die Post weggeworfen oder fremde Sachen unterschlagen hätte. Sie sind lebhaft, gescheit, lustig, ungezwungen und haben in der Gesellschaft von Mächtigen und Reichen keinerlei Hemmungen. Sie erkennen keine Macht über sich an, und es scheint, dass sie nicht einmal die Begriffe älter und jünger kennen. Bei den Giljaken wird, wie man sagt und schreibt, auch innerhalb der Familie das Alter nicht geehrt. Der Vater denkt nicht daran, dass er älter als sein Sohn ist, der Sohn achtet den Vater und lebt, wie er will. Die alte Mutter hat in der Jurte nicht mehr zu sagen als das halbwüchsige Mädchen. Bošniak schreibt, er habe öfter gesehen, wie der Sohn die eigene Mutter schlug und aus dem Hause jagte und keiner es wagte, ihm ein Wort zu sagen. Die männlichen Familienmitglieder sind untereinander gleich. Wenn man Giljaken mit Wodka bewirtet, so muss man auch dem allerkleinsten anbieten.
    Die Familienangehörigen weiblichen Geschlechts sind gleich rechtlos, sei es die Großmutter, die Mutter oder ein ganz kleines Mädchen. Sie werden wie

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