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1Q84: Buch 1&2

Titel: 1Q84: Buch 1&2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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religiöse Gemeinschaft so rasch vonstatten ging, war ungeklärt.
    Die Radikalen richteten ihre Anstrengungen nun neben der Landwirtschaft auf eine geheime Kampfausbildung. Dadurch kam es zu Konflikten zwischen ihnen und den benachbarten Bauern, so auch um die Nutzungsrechte eines kleinen Baches, der durch das Land der Akebono-Gruppe floss. Dieser Bach war von jeher gemeinsam zur Bewässerung der umliegenden Felder genutzt worden, doch nun verweigerte Akebono den Nachbarn jeden Zutritt zu ihrem Gelände. Der Streit zog sich über einige Jahre hin, und es kam so weit, dass Anwohner, die gegen die Zäune geklagt hatten, von Akebono-Mitgliedern zusammengeschlagen wurden. Infolge der Anzeige wegen Körperverletzung war die Präfekturpolizei von Yamanashi mit einem Durchsuchungsbefehl bei Akebono vorgefahren, um ein Verhör durchzuführen. Dabei kam es unerwartet zu dem besagten Schusswechsel.
    Als die Akebono-Gruppe am Ende der bewaffneten Auseinandersetzung praktisch zerschlagen war, gaben die Vorreiter unverzüglich eine offizielle Stellungnahme heraus. Auf einer Pressekonferenz verlas ein gutaussehender, korrekt gekleideter junger Sprecher der Sekte eine eindeutige Erklärung: Beziehungen zwischen Akebono und den Vorreitern, wie es sie in der Vergangenheit vielleicht gegeben hatte, bestünden zum gegenwärtigen Zeitpunkt in keiner Weise. Nach ihrer Trennung habe es außer geschäftlich bedingten Kontakten keinen Austausch mehr gegeben. Die Vorreiter bezeichneten sich als landwirtschaftliche Kooperative, die unter Einhaltung aller Gesetze eine friedliche spirituelle Welt anstrebe. Daher sei man auch zu dem Entschluss gelangt, mit den Mitgliedern der Gruppe Akebono, die extremistische revolutionäre Ideen verfolgten, nicht länger gemeinsam agieren zu können, und habe sich friedlich von ihnen getrennt. Danach hätten die Vorreiter die Anerkennung als religiöse Gemeinschaft erhalten. Man bedaure den blutigen Zwischenfall, den Akebono verursacht habe, zutiefst und spreche den betroffenen Polizeibeamten und ihren Familien das tiefempfundene Mitgefühl der ganzen Gemeinschaft aus. Die religiös orientierte Vereinigung der Vorreiter sei in keiner Form an den bewussten Vorfällen beteiligt gewesen. Man wolle jedoch nicht leugnen, dass die Akebono-Gruppe aus den Vorreitern hervorgegangen sei. Solle in diesem Zusammenhang eine behördliche Untersuchung notwendig sein, würden die Vorreiter dies von sich aus unterstützen, um unnötigen Missverständnissen vorzubeugen. Die Gemeinschaft sei eine gegenüber der Öffentlichkeit aufgeschlossene, legale Vereinigung und habe nichts, aber auch gar nichts zu verbergen. Sollte die Bekanntgabe bestimmter Informationen erforderlich sein, wolle man dem, wenn auch in gewissen Grenzen, entsprechen.
    Wie als Reaktion auf diese Erklärung tauchte einige Tage später die Präfekturpolizei von Yamanashi mit einem Durchsuchungsbefehl bei den Vorreitern auf und durchstöberte einen Tag lang die weitere Umgebung, das Innere der Einrichtungen und alle Arten von Dokumenten. Mehrere führende Mitglieder der Sekte wurden verhört.
    Die ermittelnden Behörden argwöhnten immer noch, dass die beiden Gruppen sich zwar nach außen hin getrennt hatten, der Verkehr zwischen ihnen jedoch fortbestanden habe und die Vorreiter verdeckt an den Aktivitäten von Akebono beteiligt gewesen seien. Doch dafür fand sich nicht ein einziger Beweis. Viele Mitglieder der Vorreiter gaben sich in hölzernen Meditationsklausen, die die Pfade durch ein hübsches Wäldchen säumten, in schlichter einheitlicher Kleidung Meditation und Askeseübungen hin. Andere verrichteten Feldarbeit. Alle Maschinen und Gerätschaften waren gut gepflegt. Die Polizei konnte nichts Waffenähnliches entdecken und begegnete auch keinerlei Anzeichen von Gewalt. Alles war sauber und ordentlich. Es gab eine hübsche kleine Speisehalle, Unterkünfte und auch eine einfache (aber funktionelle) Sanitätsstation, die die medizinische Versorgung gewährleistete. Die einstöckige Bibliothek beherbergte zahlreiche buddhistische Sutren und andere Schriften. In ihr forschten Gelehrte und fertigten Übersetzungen an. Alles in allem erweckte das Ganze weniger den Anschein einer religiösen Einrichtung als den einer kleinen, aber feinen Privatuniversität. Enttäuscht und mit leeren Händen zog die Polizei ab.
    Einige Tage später lud die Sekte Zeitungs- und Fernsehreporter ein, die im Großen und Ganzen das Gleiche zu sehen bekamen, was die Polizei schon gesehen

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