1Q84: Buch 1&2
Schiffes in stürmischer See. Er musste steuern, den Zustand der Segel überprüfen und Luftdruck und Windrichtung im Kopf haben. Er musste Urteile fällen und den Seeleuten Mut machen. Ein winziges Versäumnis oder ein falscher Handgriff konnten zu einer Katastrophe führen. So wurde der Geschlechtsverkehr für ihn fast zu einer Pflichtübung. Vor Aufregung ejakulierte er im falschen Moment oder wurde nicht richtig hart, wenn er sollte. Und Selbstzweifel begannen an ihm zu nagen.
Aber bei seiner älteren Freundin kam es erst gar nicht zu solchen Diskrepanzen. Sie schätzte Tengos Fähigkeiten als Liebhaber hoch ein. Sie lobte und ermutigte ihn immerzu. Nachdem Tengo dieses einzige Mal zu früh ejakuliert hatte, vermied sie es geflissentlich, weiße Unterkleider zu tragen. Und nicht nur Unterkleider, er sah sie überhaupt nie wieder in weißer Unterwäsche.
Auch an diesem Tag trug sie schwarze Unterwäsche. Sie verwöhnte ihn mit Fellatio, liebkoste seinen harten Penis und seine weichen Hoden nach allen Regeln der Kunst. Tengo konnte sehen, wie ihre von dem schwarzen Spitzen-BH umhüllten Brüste im Takt der Bewegungen ihres Mundes auf und ab wippten. Um eine verfrühte Ejakulation zu vermeiden, schloss er die Augen und dachte an die Giljaken.
»Sie haben kein Gericht und wissen nicht, was Rechtsprechung bedeutet. Wie schwer es ihnen fällt, uns zu verstehen, sieht man beispielsweise daran, dass sie bis jetzt nicht ganz die Bestimmung von Wegen verstehen. Sogar dort, wo schon Wege angelegt sind, wandern sie immer quer durch die Taiga. Man kann oft sehen, wie sie, ihre Familien und die Hunde sich im Gänsemarsch mühsam durch das Moor bewegen, und zwar neben dem Weg.«
Er stellte sich vor, wie kleine Gruppen von Giljaken in ärmlicher abgerissener Kleidung im Gänsemarsch mit Hunden und Frauen neben den vorhandenen Pfaden durch die Taiga wanderten. In ihrem Konzept von Zeit und Raum existierten keine Wege. Statt auf den Wegen zu gehen, stapften sie ungerührt durch die Taiga, auch wenn es mühsam war. Vielleicht war es auf diese Weise leichter für sie, den Sinn ihrer Existenz zu bestimmen.
Die armen Giljaken, hatte Fukaeri gesagt. Tengo dachte an ihr schlafendes Gesicht. Fukaeri in seinem Pyjama, der viel zu groß für sie war. Die Ärmel und Hosenbeine hochgekrempelt. Er nahm ihn aus der Waschmaschine und atmete seinen Duft ein.
Nicht daran denken!, wollte Tengo sich selbst noch erschrocken zurückhalten. Doch da war es bereits zu spät.
Er ejakulierte heftig. Seine Freundin behielt ihn bis zum Schluss im Mund, dann stand sie auf und ging ins Bad. Er hörte, wie sie den Wasserhahn aufdrehte und sich den Mund ausspülte. Dann kam sie ins Bett zurück, als sei nichts geschehen.
»Tut mir leid«, entschuldigte sich Tengo.
»Es ging eben nicht mehr«, sagte die Freundin und stupste mit der Fingerspitze gegen seine Nase. »Macht doch nichts. Hat es sich denn so gut angefühlt?«
»Ja, sehr«, sagte er. »Ich glaube, in einer Weile kann ich noch mal.«
»Ich freu mich schon«, sagte sie und legte ihre Wange auf Tengos nackte Brust. Sie lag still und mit geschlossenen Augen da. Er spürte ihren ruhigen Atem auf seiner Brustwarze. Sie atmete durch die Nase.
»Weißt du, woran deine Brust mich immer erinnert?«, fragte sie ihn.
»Nein.«
»An ein Burgtor in einem Film von Akira Kurosawa.«
»Ein Burgtor«, sagte Tengo und streichelte ihren Rücken.
»In einem dieser alten Schwarz-Weiß-Filme, Das Schloss im Spinnwebwald oder Die verborgene Festung , kommt doch dieses große massive Tor vor. Ein Tor mit großen Bolzen. Daran muss ich immer denken. Solide und breit.«
»Bolzen habe ich aber keine, oder?«, sagte Tengo.
»Ist mir bisher nicht aufgefallen.«
Nachdem Die Puppe aus Luft als Buch erschienen war, landete es in der zweiten Woche auf der Belletristik-Bestsellerliste, in der dritten stand es auf Platz eins. Tengo verfolgte in den Zeitungen, die im Lehrerzimmer der Yobiko auslagen, den Weg ihres Romans zum Bestseller. Es gab auch zwei Anzeigen, in denen das Buch und daneben ein kleines Foto von Fukaeri abgebildet waren. Der gewisse enganliegende dünne Sommerpullover, der ihre wohlgeformten Brüste zur Geltung brachte (wahrscheinlich war das Foto auf der Pressekonferenz aufgenommen worden). Das glatte lange Haar, das ihr bis über die Schultern hing, ihre geheimnisvollen schwarzen Augen dem Betrachter zugewandt. Ihr Blick schien durch das Objektiv der Kamera etwas Verborgenes in seinem Inneren –
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