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1Q84: Buch 1&2

Titel: 1Q84: Buch 1&2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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geworden.«
    »Die Leute, die aus der Vorreiter-Vereinigung ausgetreten sind, lassen die sich keine Informationen entlocken? Es muss doch welche geben, die von der Gruppe enttäuscht oder von der Askese abgeschreckt wurden.«
    »Natürlich kommen und gehen immer wieder Leute. Einige sind enttäuscht und treten wieder aus. Im Grunde sind sie frei, die Gruppe zu verlassen. Von der ziemlich deftigen Summe, die sie bei der Aufnahme als ›Dauerbenutzungsgebühr für die Einrichtungen‹ gespendet haben, bekommen sie laut Vertrag nichts zurück, aber wer sich einmal entschlossen hat, geht auch ohne Abfindung. Es gibt einen von ehemaligen Mitgliedern gegründeten Verein, der behauptet, die Vorreiter seien eine gefährliche asoziale Sekte mit betrügerischen Absichten. Einige haben geklagt. Der Verein gibt eine kleine Broschüre heraus, aber seine Stimme ist sehr leise und der Einfluss auf die Öffentlichkeit gering. Die Vorreiter haben hervorragende Anwälte und ein wasserdichtes System der Verteidigung. Selbst wenn sie verklagt werden, kann ihnen das nicht das Geringste anhaben.«
    »Äußern sich die Ausgetretenen irgendwie über den Leader oder die Kinder in der Sekte?«
    »Ich habe die Broschüre noch nicht genau gelesen, also keine Ahnung«, sagte Ayumi. »Aber auf den ersten Blick handelt es sich bei den aus Unzufriedenheit ausgetretenen Mitgliedern nur um Leute aus den unteren Rängen. Kleine Leute. Dafür, dass die Vorreiter irdische Werte ablehnen und so erhaben tun, sind sie sehr offenkundig eine Klassengesellschaft, die alles Irdische übertrifft. Die Führung und die unteren Ränge sind deutlich voneinander getrennt. Wer keinen akademischen Hintergrund hat, kann gar nicht erst in die Führungsebene aufsteigen. Der Leader empfängt ausschließlich Mitglieder der Führungselite. Alle anderen, also die große Masse, verbringen ihre keimfreien Tage damit, vorschriftsmäßig Geld zu spenden, an frischer Luft Askese zu üben, die Felder zu bewirtschaften und zu meditieren. Nicht anders als eine Herde Schafe. Es ist ein friedlicher Alltag, in dem sie von ihren Hütehunden morgens auf die Weide gebracht und abends in den Stall zurückgetrieben werden. Sie sehnen den Tag herbei, an dem ihre Stellung in der Gruppe erhöht wird und sie ihrem angebeteten Großen Bruder gegenübertreten können. Doch dieser Tag kommt nie. Deshalb haben die gewöhnlichen Anhänger kaum eine Ahnung davon, was wirklich im Inneren vorgeht. Deshalb haben die Ausgetretenen der Öffentlichkeit auch keine bedeutenden Einblicke zu bieten. Sie haben nicht einmal das Gesicht des Leaders gesehen.«
    »Und von den Elitemitgliedern tritt niemand aus?«
    »Soweit ich herausgefunden habe, ist das noch nie vorgekommen.«
    »Vielleicht erlauben sie keinem, auszutreten, der das Geheimnis des Systems kennt?«
    »Das wäre eine ziemlich tragische Entwicklung«, sagte Ayumi. Sie seufzte kurz auf. »Und die Vergewaltigungen von kleinen Mädchen, von denen du gesprochen hast, wie sicher ist das?«
    »Ziemlich sicher. Aber im gegenwärtigen Stadium lässt sich noch nichts beweisen.«
    »Und das geschieht organisiert im Inneren der Sekte?«
    »Auch das weiß ich noch nicht. Aber es gibt tatsächlich ein Opfer. Ich habe das Mädchen kennengelernt. Ein ziemlich schrecklicher Anblick.«
    »Ist sie penetriert worden?«
    »Kein Zweifel.«
    Ayumi presste die Lippen zu einem Strich aufeinander und überlegte. »Ich verstehe. Ich werde alles tun, um mehr herauszufinden.«
    »Aber tu bitte nichts Unvernünftiges.«
    »Mache ich nicht«, sagte Ayumi. »Denn ich bin eine Person, die bei so was sehr gut aufpasst.«
    Die beiden beendeten ihre Mahlzeit, und der Kellner räumte ab. Sie verzichteten auf ein Dessert und leerten ihre Weingläser.
    »Weißt du noch, Aomame, wie du mir damals gesagt hast, dass du als Kind nie von einem Mann belästigt worden bist?«
    Aomame musterte Ayumi kurz und nickte. »Meine Familie ist sehr gläubig, und über Sex wurde bei uns nie gesprochen. In unserem ganzen Umfeld nicht. Sex war ein Thema, das nie angeschnitten werden durfte.«
    »Aber Glaube und sexuelle Begierde, das ist ja auch wieder so ein Problem. Dass Kleriker häufig sexuelle Manien haben, ist doch allgemein bekannt. Die meisten Täter, die von der Polizei im Zusammenhang mit Prostitution und sexueller Belästigung dingfest gemacht werden, kommen aus dem religiösen oder dem pädagogischen Bereich.«
    »Kann schon sein. Aber zumindest in meiner Umgebung war das nicht der Fall. Es gab

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