1Q84: Buch 1&2
gestorben«, sagte Tamaru.
»Du meinst doch nicht Bun?«
»Doch, unsere verrückte Schäferhündin, die so gern Spinat gefressen hat. Es ist gestern Nacht passiert.«
Aomame war erstaunt. Der Hund war erst fünf oder sechs Jahre alt gewesen. »Als ich sie das letzte Mal gesehen habe, sah sie ganz gesund aus.«
»Sie ist auch nicht an einer Krankheit gestorben«, sagte Tamaru tonlos. »Sie wurde in den Morgenstunden zerfetzt.«
»Zerfetzt?«
»Ihre Innereien lagen überall verstreut, als hätte man sie in die Luft gesprengt. In alle vier Himmelsrichtungen. Ich musste die Fleischfetzen einzeln mit Küchenpapier einsammeln. Der Leichnam sah aus, als wäre das Innerste nach außen gekehrt worden. Als hätte jemand eine starke Miniaturbombe in den Bauch des Hundes gelegt.«
»Das tut mir leid.«
»Da kann man nichts machen«, sagte Tamaru. »Was einmal tot ist, wird nicht wieder lebendig. Wir können einen anderen Wachhund besorgen. Was mich beunruhigt, ist nur, wie es passiert ist. Normalerweise wäre das nicht möglich gewesen. Eine Bombe am Bauch von Bun zu befestigen. Wenn ein Fremder ihr zu nahe kam, hat sie immer gebellt wie ein Höllenhund. Das ging nicht so einfach.«
»Allerdings nicht«, sagte Aomame mit rauer Stimme.
»Die Bewohnerinnen des Frauenhauses stehen unter Schock und sind völlig verängstigt. Die Frau, die dafür zuständig war, den Hund zu füttern, hat ihn am Morgen gefunden. Sie musste sich erbrechen, dann hat sie mich angerufen. Ich habe sie gefragt, ob ihr in der Nacht etwas Verdächtiges aufgefallen ist. Nichts. Nicht einmal eine Explosion war zu hören. Bei einem lauten Knall würden doch alle aufwachen. Gerade weil die Frauen, die dort leben, so ängstlich sind. Das heißt, es war eine lautlose Explosion. Es hat auch niemand den Hund winseln gehört. Dabei war es eine außergewöhnlich ruhige Nacht. Als der Morgen kam, war das Innere des Hundes nach außen gekehrt. Frische Innereien überall versprengt, zur Freude der Krähen in der Nachbarschaft. Aber für mich ist das natürlich absolut keine erfreuliche Angelegenheit.«
»Irgendetwas Sonderbares ist im Gange.«
»Zweifellos«, sagte Tamaru. »Und wenn mein Gefühl mich nicht trügt, war das erst der Anfang.«
»Hast du die Polizei benachrichtigt?«
»Also wirklich!« Tamaru schnaubte verächtlich. »Was soll die Polizei da schon machen? Das wäre wohl so ziemlich das Dümmste, was wir tun könnten. Es würde alles nur noch verschlimmern.«
»Was sagt Madame?«
»Nichts. Sie hat sich meinen Bericht angehört und nur genickt«, sagte Tamaru. »Ich bin zuständig für die Security, und die Verantwortung liegt bei mir. Von Anfang bis Ende. Das ist meine Aufgabe.«
Einen Moment lang herrschte Schweigen. Es war ein gewichtiges Schweigen, auf dem seine Verantwortung lastete.
»Morgen um halb fünf«, sagte Aomame.
»Morgen um halb fünf«, wiederholte Tamaru. Und legte behutsam auf.
KAPITEL 24
Tengo
Worin liegt der Sinn einer anderen Welt?
Der Samstag begann mit Regen. Es regnete nicht sehr heftig, aber anhaltend. Seit es am Vortag um die Mittagszeit begonnen hatte, hatte es nicht ein einziges Mal aufgehört. Kaum glaubte man einmal, der Regen würde allmählich nachlassen, wurden die Schauer unversehens wieder stärker. Obwohl das Jahr schon so weit fortgeschritten war, schien die Regenzeit einfach nicht enden zu wollen. Der Himmel war dunkel und lag wie ein Deckel auf der von schwerer Feuchtigkeit durchtränkten Erde.
Als Tengo am Vormittag in Regenmantel und Mütze ein paar Einkäufe in der Nachbarschaft machen wollte, entdeckte er, dass in seinem Briefkasten ein dicker gefütterter brauner Umschlag steckte. Er hatte keinen Poststempel und war auch nicht frankiert. Seine Adresse stand auch nicht darauf, ebenso wenig wie ein Absender. Nur vorn in die Mitte hatte jemand mit kleinen, eckigen Zeichen »Tengo« geschrieben. Es sah aus wie mit einem Nagel in trockenen Ton geritzt. Zeichen, die ganz sicher von Fukaeri stammten. Als er den Umschlag aufriss, fand er darin eine geschäftsmäßig wirkende TDK-Kassette von sechzig Minuten Laufzeit. Weder ein Brief noch eine Notiz lagen bei. Es gab auch keine Hülle, und die Kassette hatte keinen Aufkleber.
Tengo zögerte, beschloss aber dann, seinen Einkauf zu verschieben, in seine Wohnung zurückzukehren und sich die Kassette anzuhören. Er hielt sie gegen das Licht und drehte sie mehrmals um. Ungeachtet ihres geheimnisvollen Aussehens war sie allem Anschein nach ein ganz
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