1Q84: Buch 1&2
geeinigt hat. Und der wird immer im Voraus bezahlt. Bevor der Freier die Hose auszieht, zahlt er. Das ist die Regel. Sonst könnte er danach ja einfach sagen, er hätte kein Geld, und das Geschäft wäre dahin. Aber so war es ja nicht, es gab keine Vorverhandlungen, und dass er mir danach Geld fürs Taxi gegeben hat, ist doch nicht mehr als ein Zeichen von Dankbarkeit. Berufsmäßige Prostitution ist etwas anderes. Da gibt es eine deutliche Grenze.«
Ayumis Erklärung war einleuchtend.
Die Männer, die Aomame und Ayumi beim letzten Mal ausgewählt hatten, waren zwischen Mitte dreißig und Anfang vierzig gewesen. Beide hatten volles Haar, und Aomame hatte einen Kompromiss eingehen müssen. Sie sagten, sie seien in der Immobilienbranche. Aber ihre Armani-Anzüge und Missoni-Uomo-Krawatten ließen vermuten, dass sie bei keiner der großen Immobilienfirmen wie Mitsubishi oder Mitsui angestellt waren. Es musste sich um eine aggressivere und flexiblere Firma handeln. Vielleicht eine mit einem englischen Lehnwortnamen, die nicht durch lästige Firmenregeln, stolzes Traditionsbewusstsein und endlose Konferenzen eingeschränkt war. Ohne persönliche Fähigkeiten kam man da nicht voran, aber wer Treffer landete, konnte viel verdienen. Einer der Männer hatte den Schlüssel für ein brandneues Alfa-Romeo-Modell. In Tokio herrsche Mangel an Büroraum, sagten sie. Die Wirtschaft erhole sich von der Ölkrise und zeige alle Anzeichen für eine neuerliche Erwärmung. Das Kapital gerate zunehmend in Bewegung. Man könne neue Hochhäuser bauen, soviel man wolle, es wäre nie genug.
»Und davon profitiert die Immobilienbranche, nicht wahr?«, sagte Aomame.
»Genau, wenn du Geld übrig hast, solltest du jetzt Immobilien kaufen«, sagte Ayumi. »Bei einem begrenzten Gebiet wie Tokio steigen die Bodenpreise, weil immer mehr Geld in die Stadt fließt. Jetzt zu kaufen kann nicht schaden. Das ist wie ein sicherer Tipp beim Pferderennen. Leider hat eine kleine Beamte wie ich nicht so viel überschüssiges Kapital. Aber du verdienst doch ganz gut, Aomame?«
Aomame schüttelte den Kopf. »Ich vertraue nur auf Bares.«
Ayumi lachte laut. »Das ist echte Gaunermentalität!«
»Du meinst, Geld unter der Matratze verstecken, damit man es herausziehen und aus dem Fenster abhauen kann, wenn es mal eng wird.«
»Genau, genau«, rief Ayumi und schnippte mit den Fingern. »Wie in Getaway . Diesem Film mit Steve McQueen. Dollarbündel und Shotguns. Das gefällt mir.«
»Besser, als auf Seiten des Gesetzes zu stehen?«
»Also ich persönlich«, sagte Ayumi und lachte, »sympathisiere mit den Gesetzlosen. So zu leben ist auf jeden Fall faszinierender, als in einem Mini-Streifenwagen Parksünder zu jagen. Absolut. Das ist vielleicht auch der Grund dafür, dass ich mich zu dir hingezogen fühle.«
»Wirke ich wie eine Gesetzlose?«
Ayumi nickte. »Irgendwie hast du so eine Ausstrahlung. Fast wie Faye Dunaway mit Maschinenpistole.«
»Ich brauche keine Maschinenpistole«, sagte Aomame.
»Übrigens diese Sekte – die Vorreiter –, von der wir neulich gesprochen haben«, sagte Ayumi.
Die beiden waren in das kleine italienische Iikura-Restaurant gegangen, dessen Küche noch spät geöffnet hatte. Aomame aß einen Salat mit Thunfisch und Ayumi Gnocchi mit Pesto. Dazu tranken sie Chianti.
»Ja?«, sagte Aomame.
»Ich habe aus Neugier noch privat ein paar Nachforschungen angestellt. Je mehr man forscht, desto verdächtiger wird der Laden. Sie nennen sich religiöse Gemeinschaft, sind auch als solche anerkannt, aber theologische Substanz gibt es kaum. Eigentlich besteht ihre sogenannte Lehre nur aus einem Mischmasch religiöser und anderer Vorstellungen. Ein bisschen New Age und Spiritualität; Akademiker sind wir, antikapitalistisch sowieso, und zurück zur Natur wollen wir auch, das alles gewürzt mit einer Prise Okkultismus. So sieht die Sache aus. Aber einen richtigen Inhalt gibt es nicht. Die Substanzlosigkeit ist sozusagen die Substanz dieser Sekte. Um es mit McLuhan zu sagen: Das Medium ist die Botschaft. Wenn man sagt, etwas ist cool, dann ist es auch cool, oder?«
»McLuhan?«
»Sogar ich lese manchmal ein Buch«, sagte Ayumi etwas eingeschnappt. »McLuhan war seiner Zeit voraus. Jetzt wird er nicht mehr geschätzt, weil er einmal so populär war. Aber was er sagt, ist im Großen und Ganzen richtig.«
»Das heißt, eine Verpackung schließt an sich schon den Inhalt ein. Ist das gemeint?«
»Ja. Der Inhalt entsteht durch die besonderen
Weitere Kostenlose Bücher