1Q84: Buch 1&2
gewöhnliches Massenprodukt. Sie sah auch nicht aus, als würde sie explodieren, wenn man sie abspielte.
Er zog seinen Regenmantel aus, stellte seinen Kassettenrekorder auf den Küchentisch und legte die Kassette ein. Um sich nötigenfalls Notizen machen zu können, legte er Kugelschreiber und Papier bereit. Nachdem er sich umgeschaut und vergewissert hatte, dass niemand sonst anwesend war, drückte er die Wiedergabetaste.
Am Anfang war gar nichts zu hören. Die Stille dauerte eine Weile an. Als er schon fast annahm, dass die Kassette defekt sei, ertönte plötzlich ein Rumpeln im Hintergrund. Als würde ein Stuhl über den Boden gezogen werden. Ein leises Räuspern (oder so etwas Ähnliches) ertönte. Dann begann auf einmal Fukaeri zu sprechen.
»Lieber Tengo«, sagte sie, wie um die Aufnahme zu testen. Soweit er sich erinnerte, war es das erste Mal, dass sie ihn bei seinem Namen ansprach.
Sie räusperte sich noch einmal. Vielleicht war sie aufgeregt.
Ein Brief wäre vielleicht besser, aber weil ich das nicht so kann, spreche ich auf Kassette. So fällt es mir leichter zu sprechen als am Telefon. Ich weiß nicht, ob das Telefon abgehört wird. Moment, ich trinke einen Schluck Wasser.
Es war zu hören, wie Fukaeri nach einem Glas griff, einen Schluck nahm und es (wahrscheinlich) wieder auf den Tisch stellte. Ihre besondere Art, ohne Betonung, Fragezeichen und Punkte zu sprechen, erweckte auf der Kassette einen noch ungewöhnlicheren Eindruck als im Gespräch. Man konnte ihn fast als unwirklich bezeichnen. Allerdings sprach sie auf der Kassette im Gegensatz zum direkten Gespräch mehrere Sätze hintereinander.
Ich habe gehört, Sie wissen nicht, wo ich bin. Vielleicht machen Sie sich Sorgen. Aber es ist alles in Ordnung. Wo ich jetzt bin, ist es nicht gefährlich. Das wollte ich Ihnen mitteilen. Eigentlich dürfte ich das gar nicht, aber ich dachte, es wäre besser, es Ihnen zu sagen.
(Zehn Sekunden Schweigen)
Sie haben mir gesagt, ich dürfte es keinem verraten. Dass ich hier bin. Der Sensei hat mich bei der Polizei als vermisst gemeldet. Aber die Polizei unternimmt nichts. Dass ein Kind von zu Hause wegläuft, ist nichts Ungewöhnliches. Deshalb werde ich eine Weile hierbleiben.
(Fünfzehn Sekunden Schweigen)
Ich bin weit fort, und solange ich nicht draußen herumlaufe, wird mich niemand finden. Es ist sehr weit. Azami bringt Ihnen diese Kassette vorbei. Es wäre nicht gut, sie mit der Post zu schicken. Wir müssen sehr vorsichtig sein. Einen Moment. Ich probiere, ob es aufgenommen hat.
(Ein Knacken. Kurze Pause. Der Ton war wieder da.)
Alles in Ordnung, es nimmt auf.
(Aus der Ferne ertönten Kinderstimmen. Und leise Musik. Wahrscheinlich Geräusche, die durch ein geöffnetes Fenster drangen. Vielleicht gab es in der Nähe einen Kindergarten.)
Vielen Dank, dass ich neulich bei Ihnen übernachten durfte. Das musste sein. Sie kennenzulernen musste auch sein. Vielen Dank, dass Sie mir vorgelesen haben. Ich denke noch oft an die Giljaken. Warum gehen sie nicht auf den breiten Wegen und stattdessen durch den Morast.
(Tengo fügte danach sachte ein Fragezeichen ein.)
Auch wenn die Wege praktischer sind, fällt es den Giljaken leichter, abseits davon durch den Morast zu gehen. Auf Wegen müssen sie ganz anders gehen, ihren Gang anpassen. Wenn sie ihren Gang anpassen, müssen sie auch andere Dinge anpassen. Ich könnte nicht leben wie die Giljaken. Es ist ekelhaft, immer von Männern geschlagen zu werden. Der Schmutz, in dem sie leben, ist auch ekelhaft. Aber ich mag es auch nicht, auf breiten Wegen zu gehen. Ich trinke noch mal Wasser.
Fukaeri trank wieder. Nach einer Pause wurde das Glas mit einem Klacken auf den Tisch zurückgestellt. Dann wischte sie sich mit den Fingern den Mund ab. Ob sie nicht wusste, dass es eine Taste gab, mit der man die Aufnahme anhalten konnte?
Vielleicht gibt es jetzt Probleme, weil ich nicht da bin. Aber ich wollte nie Schriftstellerin werden und habe auch nicht die Absicht, noch etwas zu schreiben. Ich habe Azami gebeten, etwas über die Giljaken herauszufinden. Azami ist in die Bibliothek gegangen und hat nachgeschaut. Die Giljaken leben auf Sachalin und haben wie die Ainu und die amerikanischen Indianer keine Schrift. Sie hinterlassen keine Aufzeichnungen. Wie ich. Was aufgeschrieben wird, sind nicht mehr meine Worte. Sie haben sie schön in Schrift verwandelt. Niemand hätte das so gut gekonnt wie Sie. Es ist bloß nicht mehr meine Geschichte. Aber machen Sie sich keine
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