1Q84: Buch 1&2
besaßen, Tengo oder auch dem Sensei zu schaden. Aber Fukaeris Tonfall war nicht zu entnehmen, dass die Little People böse waren. Eher hatte er das Gefühl, dass sie neutral waren und sich so oder so verhalten konnten. Noch eine Stelle beunruhigte Tengo.
VIELLEICHT HAT ES DIE LITTLE PEOPLE GEÄRGERT, DASS ÜBER SIE GESCHRIEBEN WURDE .
Wenn die Little People wirklich verärgert waren, dann ganz bestimmt auch über ihn. Denn schließlich war er derjenige, der die Kunde von ihrer Existenz in gedruckter Form in aller Welt verbreitet hatte. Sicherlich würden sie es nicht gelten lassen, wenn er erklärte, dass es kein böser Wille gewesen sei.
Welchen Schaden die Little People einem Menschen wohl zufügen konnten? Doch woher sollte Tengo das wissen? Er spulte die Kassette zurück, steckte sie in den Umschlag und legte ihn in eine Schublade. Dann zog er seinen Regenmantel wieder an, setzte die Mütze auf und ging in den unaufhörlichen Regen hinaus, um seine Einkäufe zu machen.
Gegen neun Uhr an diesem Abend rief Komatsu an. Auch diesmal wusste Tengo schon bevor er den Hörer abhob, dass es Komatsu war. Er hatte im Bett gelegen und gelesen. Nachdem es dreimal geklingelt hatte, stand er langsam auf, hob ab und setzte sich an den Küchentisch.
»Hallo, Tengo«, sagte Komatsu. »Kippst du dir gerade einen hinter die Binde?«
»Nein, ich bin nüchtern.«
»Wenn du das hörst, wirst du vielleicht einen Schluck brauchen«, sagte Komatsu.
»Bestimmt eine lustige Geschichte, was?«
»Wie man’s nimmt. So lustig nun auch wieder nicht. Vielleicht ist sie ein bisschen paradox und ein bisschen komisch.«
»Wie die Erzählungen von Tschechow.«
»Genau«, sagte Komatsu. »Wie bei Tschechow. Du sagst es. Du triffst mit deinen Formulierungen immer den Nagel auf den Kopf.«
Tengo schwieg. Komatsu fuhr fort.
»Die Sache wird immer ungemütlicher. Der Professor hat jetzt die Vermisstenanzeige aufgegeben, und die Polizei fahndet nach Eri. Aber da es keine Lösegeldforderung gibt, nehmen sie die Sache nicht ganz so ernst. Wenn Eri etwas zustößt, wären sie allerdings blamiert, das ist klar. Die Medien sind nicht so leicht in Schach zu halten. Vor meinem Haus schnüffeln ständig Reporter herum. Ich bleibe natürlich dabei, dass ich nichts weiß. Aber ich brauche sowieso nichts zu sagen. Sie sind schon dabei, die Beziehung zwischen Fukaeri und Professor Ebisuno und die Geschichte von ihren Eltern, die Revolutionäre waren, auszugraben. So was muss ja irgendwann rauskommen. Die Schlimmsten sind die Illustrierten. Die freien Schreiberlinge und Journalisten strömen in Scharen herbei, wie Haie, die Blut geleckt haben. Und wenn die einmal zugebissen haben, lassen sie nicht mehr locker. Sie leben ja davon. Privatsphäre, Zurückhaltung oder so was kümmert die einen Dreck. Sie schreiben zwar, aber aus ganz anderen Gründen als ruhige, literarisch interessierte junge Leute wie du, Tengo.«
»Vielleicht sollte ich mich auch lieber in Acht nehmen?«
»Genau. Halte dich lieber bereit, in Deckung zu gehen. Man kann nie wissen, was die ausgraben.«
Tengo stellte sich vor, wie ein Schwarm Haie um ihr kleines Boot herumwimmelte. Es sah aus wie ein Bild aus einem schlechten Manga. »Man muss etwas finden, das sie nicht haben«, hatte Fukaeri gesagt. Doch was konnte das nur sein?
»Aber, Herr Komatsu, war all das nicht von Anfang an Professor Ebisunos Plan?«
»Kann sein«, sagte Komatsu. »Vielleicht haben wir uns ganz ordentlich benutzen lassen. Aber ich wusste ja von Anfang an, was der Professor ungefähr vorhatte. Er hat seine Absichten nie verheimlicht. In dieser Hinsicht war es ein faires Geschäft. Ich hätte damals ja auch ablehnen können und sagen: ›Sensei, das riecht nach Schwierigkeiten. Ich steige aus.‹ Ein anständiger Redakteur hätte das getan. Aber wie du weißt, mein lieber Tengo, bin ich kein anständiger Redakteur. Jedenfalls war damals alles schon ins Rollen gekommen, und ich wollte so gern dabei sein. Vielleicht habe ich auch nicht alles mit einkalkuliert.«
Dann tönte Tengo aus dem Hörer Schweigen entgegen. Ein kurzes, aber dichtes Schweigen, das Tengo brach. »Das heißt, Ihr Plan wurde von Professor Ebisuno usurpiert.«
»So könnte man es ausdrücken. Zumindest hat sich alles schneller entwickelt, als wir es erwartet haben.«
»Sie meinen, Professor Ebisuno hat diesen ganzen Rummel inszeniert?«, fragte Tengo.
»Natürlich. Er ist ein äußerst gebildeter und selbstbewusster Mann. Und so geht
Weitere Kostenlose Bücher