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1Q84: Buch 1&2

Titel: 1Q84: Buch 1&2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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gehe allein durch einen Wald. Es ist kein tiefer unheimlicher Wald, wie der, in dem Hänsel und Gretel sich verirrt hatten. Er ist hell und licht. Es ist ein schöner Nachmittag, warm und angenehm, und ich fühle mich beschwingt. Auf einmal steht am Wegesrand ein kleines Haus. Es hat einen Schornstein und eine kleine Veranda, an den Fenstern hängen karierte Gardinen. Kurz gesagt, ein freundlicher Anblick. Ich klopfe an die Tür und rufe: ›Hallo?‹ Aber niemand antwortet. Als ich noch einmal lauter klopfe, geht die Tür von selbst auf. Sie war nicht richtig zu. Ich betrete das Haus. ›Guten Tag. Ist denn niemand zu Hause? Ich komme herein‹, rufe ich.«
    Sie streichelte weiter zärtlich Tengos Hoden und sah ihm ins Gesicht. »Kannst du dir die Atmosphäre vorstellen?«
    »Ja, sehr gut.«
    »Das Haus hat nur ein Zimmer. Es ist sehr einfach eingerichtet. Eine kleine Kochstelle, ein Bett, ein Essplatz. In der Mitte steht ein Holzofen, und der Tisch ist hübsch mit Speisen für vier Personen gedeckt. Von den Tellern steigt weißer Dampf auf. Aber es ist niemand da. Vielleicht ist, als alle gerade mit dem Essen anfangen wollten, etwas Seltsames geschehen, ein Ungeheuer ist plötzlich aufgetaucht oder so etwas, und alle sind in Panik geflüchtet. Aber die Stühle sind nicht verrückt. Alles ist ordentlich und auf seltsame Weise alltäglich. Nur dass kein Mensch da ist.«
    »Und was ist das für ein Essen, das auf dem Tisch steht?«
    Sie legte den Kopf schräg. »Daran erinnere ich mich nicht. Aber wo du es sagst … Was war es denn nur? Aber weißt du, die Speisen selbst spielen keine Rolle. Nur dass sie so heiß wie frisch gekocht sind, hat eine Bedeutung. Jedenfalls setze ich mich auf einen der Stühle und warte auf die Rückkehr der Familie, die dort wohnt. Ich muss auf ihre Rückkehr warten. Warum, weiß ich nicht. In einem Traum sind ja nie alle Umstände ganz klar. Vielleicht muss ich sie nach dem Weg fragen oder irgendetwas abholen oder so. Jedenfalls warte ich. Doch so lange ich auch warte, es kommt niemand. Das Essen dampft weiter. Bei diesem Anblick bekomme ich einen Riesenhunger. Aber ganz gleich wie hungrig ich bin, ich kann mich doch nicht in Abwesenheit der Bewohner des Hauses eigenmächtig über ihr Essen hermachen. Findest du nicht?«
    »Doch, finde ich auch«, sagte Tengo. »Das hätte ich auch nicht einmal im Traum gewagt.«
    »Unterdessen neigt der Tag sich dem Ende zu. Es wird bereits dunkel in dem Häuschen. Auch im Wald drumherum wird es finster. Ich will das Licht in dem Häuschen anschalten, aber ich weiß nicht, wie. Allmählich werde ich unsicher. Da fällt mir plötzlich etwas auf. Seltsamerweise hat sich die Menge des Dampfes, der von den Speisen aufsteigt, nicht verringert. Obwohl mehrere Stunden vergangen sind, sind alle Speisen noch dampfend heiß . Allmählich finde ich das alles sehr sonderbar. Irgendetwas stimmt nicht. So endet der Traum.«
    »Du weißt nicht, was danach passiert.«
    »Ganz bestimmt passiert danach etwas«, sagte sie. »Die Sonne geht unter, ich weiß den Heimweg nicht und bleibe ganz allein in diesem blöden Häuschen. Irgendetwas steht im Raum. Ich habe das Gefühl, dass es nichts Gutes ist. Aber der Traum endet immer an der gleichen Stelle. Und ich träume ihn wieder und wieder.«
    Sie hörte auf, seine Hoden zu streicheln, und legte ihre Wange auf Tengos Brust. »Vielleicht weist mich dieser Traum auf etwas hin.«
    »Auf was zum Beispiel?«
    Sie antwortete nicht und stellte stattdessen ihm eine Frage. »Tengo, willst du wissen, was der schrecklichste Teil dieses Traums ist?«
    »Ja.«
    Als sie tief seufzte, traf ihr Atem Tengos Brustwarze wie ein warmer Wind, der durch einen engen Kanal weht. »Dass ich vielleicht selbst dieses Ungeheuer bin. Irgendwann ist mir diese Möglichkeit eingefallen. Vielleicht haben die Leute mich kommen sehen und sind in Panik mitten im Essen aufgesprungen und geflüchtet. Und vielleicht können sie nicht zurückkehren, solange ich dort bin. Aber dennoch muss ich immer weiter in dem Haus auf ihre Rückkehr warten. Dieser Gedanke macht mir große Angst. Er ist so hoffnungslos.«
    »Oder«, sagte Tengo, »es ist dein eigenes Haus, und du wartest auf dich selbst, nachdem du daraus geflohen bist.«
    Erst nachdem er es gesagt hatte, merkte Tengo, dass er es nicht hätte sagen sollen. Doch Worte, die einmal entschlüpft sind, kann man nicht zurückholen. Sie schwieg lange. Dann packte sie seine Hoden mit aller Kraft. So fest, dass er nicht

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