1Q84: Buch 1&2
vielleicht alles gut. Aber wenn der ganze Skandal über das hinausgeht, was Professor Ebisuno vorausgesehen hat, könnte er die Kontrolle verlieren. Wie hervorragend ein Mensch auch ist, seine Fähigkeiten haben doch Grenzen. Also, schnallen wir uns lieber an.«
»Wenn man in einem abstürzenden Flugzeug sitzt, nützt Anschnallen auch nichts mehr, Herr Komatsu.«
»Aber es beruhigt.«
Tengo musste unwillkürlich lächeln. Doch es war ein kraftloses Lächeln. »Ist das der Kern Ihrer Geschichte? Sie ist wirklich nicht sehr angenehm, aber ein bisschen paradox und auch ein bisschen komisch.«
»Tut mir leid, Kleiner, dass ich dich da reingezogen habe. Ganz ehrlich«, sagte Komatsu mit ausdrucksloser Stimme.
»Um mich geht es doch gar nicht. Mir kann nicht viel passieren. Was habe ich denn zu verlieren? Ich habe keine Familie, keine berufliche Stellung oder großartige Zukunft. Viel mehr Sorgen mache ich mir um Fukaeri. Sie ist erst siebzehn.«
»Das bedrückt mich auch. Natürlich. Aber daran können wir jetzt nichts ändern, auch wenn wir uns noch so sehr den Kopf zerbrechen. Vorläufig müssen wir uns irgendwo festhalten, damit der Sturm uns nicht packt und davonweht. Für den Moment sollten wir gründlich die Zeitungen lesen.«
»Ich nehme es mir fest vor.«
»Gut«, sagte Komatsu. »Ist dir übrigens eingefallen, wo Fukaeri sein könnte? Irgendein Hinweis, egal was!«
»Nein, nichts«, sagte Tengo. Lügen war nicht seine Stärke. Und Komatsu verfügte über eine ungewöhnlich gute Intuition. Aber er schien das leise Zittern in Tengos Stimme nicht zu registrieren. Wahrscheinlich war er zu sehr mit seinen eigenen Angelegenheiten beschäftigt.
»Wenn irgendetwas ist, melde ich mich wieder«, sagte Komatsu und legte auf.
Nachdem Tengo den Hörer auf die Gabel gelegt hatte, nahm er als Erstes ein Glas aus dem Schrank und schenkte sich zwei Zentimeter Bourbon ein. Komatsu hatte recht gehabt, nach diesem Telefonat brauchte er wirklich einen Schluck.
Am Freitag kam wie immer seine Freundin vorbei. Der Regen hatte aufgehört, aber der Himmel war noch immer von einer lückenlosen Schicht grauer Wolken bedeckt. Die beiden aßen eine Kleinigkeit und gingen ins Bett. Beim Sex gingen Tengo alle möglichen abgerissenen Gedanken durch den Kopf, aber der körperliche Genuss, den er beim Geschlechtsverkehr empfand, litt nicht darunter. Wie immer kitzelte sie geschickt die Lust hervor, die sich während der Woche in Tengo angestaut hatte, und lenkte sie in die richtigen Bahnen. Auch sie selbst erlangte volle Befriedigung. Wie ein tüchtiger Steuerberater, der größte Freude an komplizierten buchhalterischen Vorgängen empfindet. Dennoch schien sie zu spüren, dass Tengo etwas beschäftigte.
»Dein Whiskyvorrat scheint in letzter Zeit ziemlich abgenommen zu haben«, sagte sie. Ihre Hand ruhte auf Tengos mächtiger Brust, als würde sie den Nachhall der Liebe genießen. An ihrem Ringfinger steckte ein kleiner, aber stark funkelnder Diamantring, ihr Ehering. Sie sprach von einer Flasche Wild Turkey, die seit ewigen Zeiten im Regal stand. Sie bemerkte jede kleine Veränderung, wie die meisten Frauen in mittlerem Alter, die eine sexuelle Beziehung zu einem jüngeren Mann haben.
»In letzter Zeit wache ich nachts häufig auf«, sagte Tengo.
»Du bist doch nicht etwa verliebt, oder?«
Tengo schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Läuft es mit deiner Arbeit nicht so gut?«
»Im Augenblick mache ich gute Fortschritte. Zumindest komme ich weiter .«
»Aber was ist es dann? Dich belastet doch etwas.«
»Tja, ich kann einfach nicht gut schlafen. So etwas hatte ich noch nie. Früher habe ich immer geschlafen wie ein Bär.«
»Armer Tengo«, sagte sie und massierte liebevoll seine Hoden mit der Hand, an der sie keinen Ring trug. »Träumst du vielleicht schlecht?«
»Ich träume fast gar nicht«, sagte Tengo. Das war eine Tatsache.
»Ich träume viel. Und immer wieder den gleichen Traum. So oft, dass ich mir schon selbst im Traum sage, ›Das hast du doch schon mal geträumt‹. Findest du das nicht sonderbar?«
»Was träumst du denn?«
»Von einer Hütte im Wald.«
»Eine Hütte im Wald«, sagte Tengo. Er dachte an die, die im Wald lebten. Die Giljaken, die Little People und Fukaeri. »Was ist das für eine Hütte?«
»Möchtest du das wirklich wissen? Die Träume anderer Leute sind doch langweilig.«
»Nein, finde ich nicht. Wenn es dir recht ist, würde ich deinen Traum gern hören«, sagte Tengo wahrheitsgemäß.
»Ich
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