Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

1Q84: Buch 1&2

Titel: 1Q84: Buch 1&2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
Vom Netzwerk:
aufeinandergepresst und die Mundwinkel bewusst ein wenig nach oben gezogen. Endlich sprach sie.
    »Sie haben sicher von Tamaru erfahren, dass der Wachhund vom Frauenhaus tot ist? Und dass wir uns nicht erklären können, wie das passiert ist.«
    »Ja, er hat es mir erzählt.«
    »Danach ist Tsubasa verschwunden.«
    Aomame verzog das Gesicht. »Verschwunden?«
    »Ja, wahrscheinlich in der Nacht. Wie vom Erdboden verschluckt. Heute Morgen war sie nicht mehr da.«
    Aomame schürzte die Lippen und suchte nach passenden Worten, ohne sie gleich zu finden. »Aber … Sie sagten doch, dass immer jemand bei ihr ist. Im selben Raum schläft. Und auf sie aufpasst.«
    »Ja, aber diese Frau hat ungewöhnlich tief geschlafen und offenbar überhaupt nicht bemerkt, wie Tsubasa verschwunden ist. Am Morgen war sie nicht mehr in ihrem Bett.«
    »Die Schäferhündin wird getötet, und am Tag darauf verschwindet Tsubasa«, fasste Aomame zusammen.
    Die alte Dame nickte. »Im Augenblick sind wir noch nicht sicher, ob zwischen den beiden Ereignissen ein Zusammenhang besteht. Aber eigentlich bin ich überzeugt davon.«
    Beiläufig betrachtete Aomame das Goldfischglas auf dem Tisch. Ihrem Blick folgend, sah auch die alte Dame auf die beiden Goldfische, die ungerührt in ihrem gläsernen Teich herumschwammen, indem sie ihre soundso vielen Flossen bewegten. Das sommerliche Licht brach sich auf eigentümliche Weise in der Kugel und erweckte beim Betrachter die Illusion, in einen geheimnisvollen Teil der Tiefsee zu spähen.
    »Ich habe die Fische für Tsubasa gekauft«, wandte die alte Dame sich erklärend an Aomame. »Wir sind ein bisschen über das Schreinfest geschlendert, das wir hier in Azabu hatten. Ich fand es nicht gesund für Tsubasa, dass sie immer so im Haus eingesperrt war. Natürlich hat Tamaru uns begleitet. Abends haben wir dann zusammen die Goldfische gekauft. Die Kleine schien so fasziniert davon. Wir haben das Glas in ihr Zimmer gestellt, und sie hat es den ganzen Tag lang unentwegt betrachtet. Aber jetzt, wo sie fort ist, habe ich die Fische mit hierher genommen. Auch ich schaue sie mir dauernd an, sitze untätig davor und starre. Seltsam, aber anscheinend wird man dessen nie müde. Noch nie habe ich ein paar Goldfische mit derartiger Intensität beobachtet.«
    »Haben Sie eine Ahnung, wo Tsubasa sich aufhalten könnte?«, fragte Aomame.
    »Nicht die geringste«, antwortete die alte Dame. »Es gibt auch keine Verwandten, bei denen sie sein könnte. Soweit ich weiß, hat das Kind auf der ganzen Welt niemanden, an den es sich wenden könnte.«
    Die alte Dame zuckte nervös mit dem Kopf, als wolle sie eine unsichtbare, winzige Fliege verscheuchen. »Nein, sie ist einfach fortgegangen . Dass jemand hier eingedrungen ist und sie mit Gewalt weggeschleppt hat, ist ausgeschlossen. Die Frauen haben alle einen leichten Schlaf. Irgendeine wäre auf jeden Fall aufgewacht. Nein, ich glaube, Tsubasa ist aus eigenem Entschluss gegangen. Sie hat sich die Treppe hinuntergeschlichen, leise den Schlüssel genommen, hat die Tür geöffnet und ist hinausgelaufen. Ich kann mir die Szene gut vorstellen. Der Hund war in der Nacht zuvor umgekommen, also konnte er auch nicht bellen. Sie hat sich nicht einmal angezogen, sondern ist so, wie sie war, im Schlafanzug, verschwunden, obwohl ihre Kleider neben ihr im Zimmer lagen. Wahrscheinlich hat sie nicht einen Yen bei sich.«
    Aomames Gesicht verzog sich stärker. »Ganz allein und im Schlafanzug?«
    Die alte Dame nickte. »Ja. Wohin kann ein zehnjähriges Mädchen im Schlafanzug und ohne Geld mitten in der Nacht gehen? Das widerspricht jeder Vernunft. Dennoch kommt es mir nicht einmal besonders seltsam vor. Eher habe ich das Gefühl, es ist geschehen, was geschehen musste. Deshalb suche ich auch nicht nach ihr. Sondern starre müßig diese Fische an.«
    Nachdem die alte Dame einen Blick auf das Goldfischglas geworfen hatte, schaute sie Aomame wieder direkt ins Gesicht.
    »Weil ich weiß, dass alles Suchen vergeblich wäre. Tsubasa ist schon an einem Ort, an dem ich sie nicht mehr erreichen kann.« Sie nahm ihre Hand von der Wange und ließ ihren Atem langsam entweichen. Ihre Hände ruhten nun nebeneinander in ihrem Schoß.
    »Aber warum ist sie weggelaufen?«, fragte Aomame. »Hier war sie in Sicherheit, und sie kann doch nirgendwo anders hin.«
    »Ich kenne den Grund nicht. Aber ich habe das Gefühl, dass der Tod des Hundes der Auslöser für ihr Verschwinden war. Tsubasa hat von Anfang an sehr an Bun

Weitere Kostenlose Bücher