1Q84: Buch 1&2
zusammenkomme.«
Die Augen der alten Dame wurden schmal. »Gibt es einen konkreten Grund für diese Annahme?«
»Eigentlich nicht«, sagte Aomame. »Außer, dass ich ich bin.«
»Sie haben also nicht die Absicht, von sich aus etwas zu unternehmen?«
Aomame schüttelte den Kopf. »Das Wichtigste für mich ist, dass ich ihn liebe.«
Die alte Dame musterte Aomame beeindruckt. »Sie sind ein Mensch von großer Entschlossenheit, nicht wahr?«
»Aus Notwendigkeit«, sagte Aomame und führte pro forma ihr Sherryglas an die Lippen. »Nicht, weil es mir gefällt.«
Eine Weile erfüllte Schweigen den Raum. Der Duft der Lilien stieg ihr immer mehr zu Kopf, während die Goldfische weiter im gebrochenen sommerlichen Licht herumschwammen.
»Wir können eine Situation herbeiführen, in der Sie mit dem Leader allein sind«, sagte die alte Dame. »Das wird nicht ganz leicht, und ich brauche auch Zeit dazu. Aber letztendlich werde ich es schaffen. Und dann können Sie tun, was Sie immer tun . Danach müssen Sie verschwinden. Wir werden Ihr Gesicht operieren lassen. Ihren Arbeitsplatz werden Sie natürlich aufgeben und weit fort ziehen. Auch Ihren Namen werden wir ändern. Ich muss von Ihnen verlangen, dass Sie Ihre jetzige Identität aufgeben. Ein anderer Mensch werden. Natürlich werde ich Sie mit einer entsprechenden Summe entschädigen. Für alles andere trage ich die Verantwortung. Würde Ihnen das etwas ausmachen?«
»Wie gesagt, ich habe nichts zu verlieren. Meine Arbeit, mein Name, mein gegenwärtiges Leben hier in Tokio, all das bedeutet mir nichts. Nein, ich habe keine Einwände.«
»Auch nicht dagegen, Ihr Gesicht zu verändern?«
»Vielleicht sehe ich dann besser aus als jetzt?«
»Diese Möglichkeit besteht natürlich, wenn Sie es wünschen«, antwortete die alte Dame aufrichtig. »In gewissen Grenzen könnte man Ihr Gesicht Ihren Wünschen entsprechend gestalten.«
»Kann man auch meinen Busen vergrößern?«
Die alte Dame nickte. »Das ist vielleicht eine gute Idee. Auch so etwas kann sehr stark verändern.«
»Das war ein Scherz«, sagte Aomame. Ihr Ausdruck wurde milder. »Meine Brüste tragen vielleicht nicht gerade zu meinem Selbstbewusstsein bei, aber von mir aus können sie so bleiben. Leicht und bequem zu tragen. Außerdem müsste ich mir ja völlig neue Unterwäsche kaufen.«
»Ich würde sie Ihnen kaufen.«
»Auch das war ein Scherz«, sagte Aomame.
Die alte Dame lächelte. »Entschuldigen Sie, aber ich bin nicht daran gewöhnt, dass Sie Scherze machen.«
»Ich hätte nichts gegen eine Schönheitsoperation«, sagte Aomame. »Bisher habe ich nie an so etwas gedacht, aber es gibt auch keinen Grund, abzulehnen. Mein Gesicht hat mir nie besonders gefallen, und es gibt auch niemand anderen, der besonders daran hängt.«
»Sie werden Ihre Freunde verlieren.«
»Ich habe niemanden, den ich als Freund bezeichnen würde«, sagte Aomame. Sie musste an Ayumi denken. Sicher würde es sie traurig machen, wenn Aomame plötzlich verschwinden würde, ohne ihr etwas zu sagen. Wahrscheinlich hätte sie das Gefühl, hintergangen worden zu sein. Andererseits war eine Freundschaft mit Ayumi von vornherein aussichtslos. Eine Polizistin zur Freundin zu haben konnte ziemlich gefährlich werden.
»Ich hatte zwei Kinder«, sagte die alte Dame. »Einen Jungen und eine drei Jahre jüngere Tochter. Sie ist tot. Ich hatte Ihnen bereits erzählt, dass sie Selbstmord begangen hat. Meine Beziehung zu meinem Sohn ist aus verschiedenen Gründen schon seit längerem nicht besonders gut. Wir sprechen kaum noch miteinander. Ich habe drei Enkel, die ich schon ewig nicht gesehen habe. Wenn ich einmal sterbe, werden mein Sohn und seine Kinder den größten Teil meines Vermögens erben. So gut wie automatisch. Testamente besitzen heutzutage nicht mehr die Gültigkeit, die sie früher hatten. Im Moment kann ich jedoch noch frei über mein Geld verfügen. Wenn Sie die auf Sie zukommende Aufgabe gemeistert haben, möchte ich Ihnen das meiste davon überschreiben. Bitte missverstehen Sie mich nicht. Ich habe keineswegs die Absicht, Sie zu kaufen. Ich will damit nur sagen, dass Sie für mich wie eine Tochter sind. Es wäre schön, wenn Sie es wirklich wären.«
Aomame sah die alte Dame ruhig an. Diese stellte ihr Sherryglas zurück auf den Tisch, als sei es ihr gerade erst wieder eingefallen. Sie wandte sich um und betrachtete die prachtvollen Blüten der Lilien. Sie sog ihren schweren Duft ein und schaute dann wieder Aomame ins
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