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1Q84: Buch 1&2

Titel: 1Q84: Buch 1&2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Leaders ist völlig abgeschottet, und gewöhnliche Mitglieder haben dort keinen Zutritt. So vieles liegt noch im Dunkeln.«
    Das geschliffene Glas auf dem Tisch war inzwischen beschlagen.
    »Eines ist jedoch sicher«, fuhr die alte Dame nach einer kurzen Atempause fort. »Das erste Opfer von den vieren war die leibliche Tochter des Leaders.«
    Aomames Gesichtsmuskeln verzerrten sich. Sie wollte etwas sagen, aber die Worte nahmen keine lautliche Gestalt an.
    »Ja, so ist es. Dieser Mann hat zuerst seiner eigenen Tochter Gewalt angetan. Vor sieben Jahren, als sie zehn war«, sagte die alte Dame.
    Über das Haustelefon bat die alte Dame Tamaru, ihnen eine Flasche Sherry und zwei Gläser zu bringen. In der Zwischenzeit schwiegen die beiden Frauen und ordneten ihre Gedanken. Tamaru brachte ein Tablett mit einer noch ungeöffneten Flasche Sherry und zwei eleganten zierlichen Kristallgläsern herein. Er stellte alles auf den Tisch und öffnete die Flasche mit einer knappen präzisen Bewegung, fast als würde er einem Vogel den Hals umdrehen. Beim Einschenken gluckerte es ein wenig. Auf das Nicken der alten Dame verbeugte sich Tamaru und verließ den Raum. Wieder hatte er kein einziges Wort gesprochen. Nicht einmal seine Schritte waren zu hören gewesen.
    Es liegt nicht nur an dem Hund, dachte Aomame.
    Dass das Mädchen (das die alte Dame über alles liebte) praktisch vor seiner Nase verschwunden war, hatte Tamaru tief getroffen. Obwohl es, genau genommen, nicht einmal zu seinem Verantwortungsbereich gehörte. Er lebte nicht im Haus, und wenn nichts Außergewöhnliches vorlag, ging er abends in seine zu Fuß etwa zehn Minuten entfernte Wohnung, wo er auch übernachtete. Der Tod des Hundes und das Verschwinden des Mädchens hatten sich nachts und in seiner Abwesenheit ereignet. Keinen der beiden Vorfälle hätte er verhindern können. Seine Aufgabe bestand lediglich darin, die alte Dame und die Weidenvilla zu schützen. Die Sicherheit des Frauenhauses, das sich außerhalb der Villa befand, konnte er nicht gewährleisten. Dazu reichten seine Kapazitäten nicht aus. Dennoch empfand Tamaru diese Geschehnisse als eine persönliche Niederlage und gegen ihn selbst gerichtete Beleidigung, die er nicht hinnehmen konnte.
    »Wären Sie bereit, diesen Menschen aus dem Weg zu räumen?«, fragte die alte Dame.
    »Ja«, erwiderte Aomame fest.
    »Das ist keine leichte Aufgabe«, sagte die alte Dame. »Leicht war natürlich keiner der Aufträge, die Sie für mich erledigt haben. Doch dieses Mal wird es besonders schwierig. Alles, was ich von meiner Seite aus tun kann, werde ich tun. Im Augenblick weiß ich nicht einmal, inwieweit ich Ihre Sicherheit garantieren kann. Diese Mission ist wesentlich riskanter als die vorangegangenen.«
    »Das nehme ich in Kauf.«
    »Es behagt mir gar nicht, Sie einer solchen Gefahr auszusetzen. Aber wenn ich ehrlich bin, sind unsere Alternativen in diesem Fall äußerst begrenzt.«
    »Macht nichts«, sagte Aomame. »Die Welt hat keine Verwendung für solche Männer.«
    Die alte Dame nahm ihr Glas, um an dem Sherry zu nippen. Wieder ruhte ihr Blick auf den Goldfischen.
    »An Sommernachmittagen wie diesem habe ich schon immer gern einen gut temperierten Sherry getrunken. Wenn es so warm ist, mag ich nichts ganz Kaltes. Anschließend lege ich mich ein bisschen hin, und unversehens schlafe ich ein. Wenn ich dann aufwache, ist es nicht mehr so heiß. Es wäre schön, wenn ich einmal auf diese Weise sterben könnte. An einem Sommernachmittag ein Glas Sherry trinken, mich aufs Sofa legen, einschlafen und nicht mehr aufwachen.«
    Auch Aomame nahm ihr Glas und nippte an dem Sherry. Eigentlich mochte sie dieses Getränk nicht besonders. Aber ein Schluck Alkohol war ihr jetzt sehr willkommen. Anders als bei dem Eistee nahm sie den Geschmack des Sherrys intensiv wahr. Er brannte ihr sogar etwas auf der Zunge.
    »Ich möchte eine ehrliche Antwort«, sagte die alte Dame. »Haben Sie Angst vor dem Sterben?«
    Aomame musste nicht lange nachdenken. Sie schüttelte den Kopf. »Eigentlich nicht. Wenn ich an mein Leben denke …«
    Ein flüchtiges Lächeln umspielte die Mundwinkel der alten Dame. Sie wirkte wieder jünger. Auch in ihre Lippen war etwas Farbe zurückgekehrt. Vielleicht hatte das Gespräch mit Aomame sie belebt. Oder es war das Verdienst der kleinen Menge Sherry.
    »Aber es gibt doch einen Mann, den Sie lieben?«
    »Ja, allerdings geht die Wahrscheinlichkeit gegen null, dass ich tatsächlich mit ihm

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