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1Q84: Buch 1&2

Titel: 1Q84: Buch 1&2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Hochsommer«, sagte Tamaru.
    »Die Zikaden zirpen schon«, sagte Aomame.
    »In diesem Jahr scheinen sie früher loszulegen als sonst. Bald wird es hier so laut sein, dass einem die Ohren wehtun. Ich habe einmal in einer Ortschaft in der Nähe der Niagarafälle übernachtet, da war es genauso laut. Unentwegter Lärm, von morgens bis abends. Ein Dröhnen wie von einer Million großer und kleiner Zikaden.«
    »Du warst mal an den Niagarafällen?«
    Tamaru nickte. »Ich kann dir sagen – der langweiligste Ort der Welt. Ich war drei Tage lang allein dort. Es gab nichts zu tun, außer dem Rauschen der Wasserfälle zuzuhören. Und das war so laut, dass man nicht mal ein Buch lesen konnte.«
    »Was hast du denn allein drei Tage lang an den Niagarafällen gemacht?«
    Darauf gab Tamaru keine Antwort. Er schüttelte nur kurz den Kopf.
    Schweigend lauschten Tamaru und Aomame eine Weile dem Zirpen der Zikaden.
    »Ich habe eine Bitte«, sagte Aomame.
    Tamaru horchte auf. Aomame war nicht der Typ, der um etwas bat.
    »Es ist keine gewöhnliche Bitte«, sagte sie. »Ich hoffe, du nimmst sie mir nicht übel.«
    »Ich weiß nicht, ob ich sie erfüllen kann oder nicht. Lass mal hören. Egal was es ist, schon aus Höflichkeit würde ich einer Dame ihre Bitte niemals übelnehmen.«
    »Ich brauche eine Pistole«, sagte Aomame in geschäftsmäßigem Ton. »Sie muss in eine Handtasche passen. Sie sollte einen geringen Rückstoß haben, aber eine verhältnismäßig große Durchschlagskraft; eine, auf deren Effizienz ich mich verlassen kann. Kein Nachbau und keine philippinische Kopie. Wenn ich sie benutzte, wird es nur einmal sein. Das heißt, ein Magazin mit Munition wird ausreichen.«
    Während der nun folgenden Stille ließ Tamaru Aomame nicht aus den Augen. Sein Blick wich um keinen Millimeter von ihr ab.
    Er sprach langsam und mit Nachdruck. »Den Bürgern unseres Landes ist der Besitz von Schusswaffen gesetzlich verboten. Das ist dir bekannt, ja?«
    »Natürlich.«
    »Ich sage es nur zur Sicherheit. Bisher bin ich noch nie mit dem Gesetz in Konflikt geraten«, sagte Tamaru. »Mit anderen Worten, ich bin nicht vorbestraft. Möglicherweise haben die Ordnungskräfte ein paar Dinge übersehen. Das will ich gar nicht leugnen. Aber laut Aktenlage bin ich ein unbescholtener Bürger. Blütenweiße Weste, ehrlich und sauber, kein Makel. Ich bin zwar schwul, aber das ist nicht gegen das Gesetz. Ich zahle ordnungsgemäß meine Steuern und gehe sogar wählen. Auch wenn die Kandidaten, für die ich stimme, die Wahl nie gewinnen. Sämtliche Strafzettel für falsches Parken habe ich pünktlich bezahlt. In zehn Jahren habe ich nicht ein einziges Mal gegen Geschwindigkeitsbeschränkungen verstoßen. Ich bin Mitglied der Allgemeinen Ortskrankenkasse. Meine Rundfunkgebühren überweise ich ordnungsgemäß und besitze außerdem Kreditkarten von American Express und Master-Card. Augenblicklich habe ich nicht die Absicht, aber wenn ich wollte, könnte ich einen Eigenheimkredit mit dreißigjähriger Laufzeit bekommen. Ich schätze mich glücklich, mich in einer so günstigen Lage zu befinden. Und diesen Biedermann, diese Stütze der Gesellschaft, bittest du, dir eine Waffe zu besorgen. Ist dir das klar?«
    »Deshalb habe ich ja auch gesagt, du sollst es mir nicht übelnehmen.«
    »Ja, hab ich gehört.«
    »Tut mir wirklich leid, aber außer dir fällt mir niemand ein, den ich fragen könnte.«
    Tamaru gab ein leises Geräusch von sich. Es klang, als würde er einen Seufzer unterdrücken. »Wenn ich zufällig in der Lage sein sollte, deinem Wunsch zu entsprechen, würde ich aber vorher einmal vernünftig nachdenken und dich als Erstes fragen, wen in aller Welt du zu erschießen beabsichtigst.«
    Aomame deutete mit ihrem Zeigefinger an ihre Schläfe. »Mich vielleicht.«
    Tamaru starrte eine Weile ausdruckslos auf ihren Finger. »Als Nächstes würde ich nach dem Grund fragen.«
    »Weil ich nicht geschnappt werden will. Vor dem Tod habe ich keine Angst. Ins Gefängnis zu gehen wäre ziemlich ärgerlich, aber auch das könnte ich ertragen. Nur von irgendwelchen blöden Typen eingefangen und gefoltert zu werden wäre richtig unangenehm. Ich will ja auch keine Namen preisgeben. Du verstehst, was ich meine?«
    »Ich glaube schon.«
    »Ich habe nicht vor, jemanden zu erschießen oder eine Bank auszurauben. Deshalb brauche ich auch keine schwere Halbautomatik mit zwanzig Schuss. Eine handliche Pistole mit geringem Rückstoß genügt.«
    »Gift wäre eine

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