1Q84: Buch 1&2
ganz wie es sein sollte. Griffbereit.
Nun musste sie das, was sie vorhatte, nur noch in die Tat umsetzen. Sie musste mit unerschütterlicher Überzeugung und Erbarmungslosigkeit zuschlagen. Ohne zu zögern. Aomame öffnete den obersten Knopf ihrer Bluse, damit man ihr, wenn sie sich vorbeugte, leichter in den Ausschnitt blicken konnte. Ein größerer Busen wäre wahrscheinlich wirksamer, dachte sie mit leichtem Bedauern.
Unbemerkt fuhr sie mit dem Fahrstuhl in den dritten Stock, ging durch den Flur und fand sogleich die Tür von Zimmer 426. Sie nahm ein Klemmbrett, das sie für diesen Zweck vorbereitet hatte, aus ihrer Tasche, drückte es an die Brust und klopfte kurz und sacht an die Tür. Sie wartete einen Moment. Dann klopfte sie noch einmal. Ein wenig stärker und lauter. Aus dem Inneren ertönte eine nervöse Stimme, und die Tür öffnete sich ein wenig. Ein etwa vierzigjähriger Mann erschien. Er trug ein marineblaues Oberhemd und graue Flanellhosen. Er machte den Eindruck eines Geschäftsmanns, der Anzugjacke und Krawatte kurzfristig abgelegt hatte. Er hatte gerötete Augen, und sein Blick war gereizt. Wahrscheinlich Schlafmangel. Überrascht musterte er Aomame in ihrem Kostüm. Vielleicht hatte er ein Zimmermädchen erwartet, das zum Auffüllen des Kühlschranks kam.
»Entschuldigen Sie die Störung. Mein Name ist Ito, ich komme von der Hotelleitung. Wir haben ein Problem mit der Klimaanlage, dem wir nachgehen müssen. Dürfte ich Sie für etwa fünf Minuten in ihrem Zimmer stören?«, sagte Aomame in resolutem Ton und lächelte liebenswürdig.
Der Mann kniff verärgert die Augen zusammen. »Ich habe etwas Dringendes zu tun. Ich werde das Zimmer in etwa einer Stunde räumen. Könnten Sie so lange warten? Außerdem scheint die Klimaanlage problemlos zu funktionieren.«
»Es tut mir sehr leid, aber es handelt sich um eine dringende Sicherheitsmaßnahme in Zusammenhang mit einem Kurzschluss, und wir möchten sie möglichst rasch zu Ende führen. Daher mache ich diese Runde durch alle Zimmer. Es dauert nur fünf Minuten.«
»Da kann man wohl nichts machen«, sagte der Mann. Er schnalzte ärgerlich mit der Zunge. »Das hat man davon, wenn man sich eigens ein Hotelzimmer nimmt, um ungestört arbeiten zu können.«
Er deutete auf den Stapel Dokumente auf dem Schreibtisch. Es waren eng mit Tabellen bedruckte Computerblätter. Vermutlich bereitete er das für seine Konferenz am Abend nötige Material vor. Daneben lagen ein Taschenrechner und ein Notizblock, auf dem sich eine Menge Zahlen aneinanderreihten.
Aomame wusste, dass der Mann im Ölgeschäft war. Er war auf Investitionen im Nahen Osten spezialisiert. Nach ihren Informationen war er ein herausragender Experte auf diesem Gebiet. Man merkte es an seinem Auftreten. Er war wohlerzogen, hoch bezahlt und fuhr einen neuen Jaguar. Er hatte eine privilegierte Kindheit gehabt, im Ausland studiert, sprach gut Englisch und Französisch und besaß in jeder Hinsicht großes Selbstvertrauen. Außerdem gehörte er zu jenem Typ Mensch, der es nicht ertragen kann, wenn andere etwas von ihm verlangen. Ebenso wenig konnte er Kritik vertragen. Schon gar nicht, wenn sie von einer Frau kam. Selbst etwas von anderen zu verlangen machte ihm nichts aus. Auch seine Frau mit einem Golfschläger zu verprügeln und ihr mehrere Rippen zu brechen verursachte ihm keinerlei Unbehagen. Die ganze Welt, für deren Zentrum er sich hielt, kreiste um ihn. Er glaubte, ohne ihn würde die Erde aufhören, sich zu drehen. Wenn jemand seine Pläne störte oder ablehnte, geriet er außer sich vor Wut. Dann brannten sämtliche Sicherungen bei ihm durch.
»Entschuldigen Sie die Umstände«, sagte Aomame mit freundlichem geschäftsmäßigem Lächeln. Um ihn vor vollendete Tatsachen zu stellen, schob sie ihren Körper zur Hälfte ins Zimmer, nahm das Klemmbrett und schrieb mit Kugelschreiber etwas darauf, während sie die Tür mit dem Rücken aufhielt. »Sie sind Herr Miyama, nicht wahr?«, fragte sie. Sie hatte sich immer wieder ein Foto von ihm angesehen und kannte sein Gesicht. Aber sich zu vergewissern, dass sie nicht den Falschen vor sich hatte, konnte nicht schaden. Eine Verwechslung wäre nicht wiedergutzumachen.
»Miyama, ganz recht«, sagte der Mann in unhöflichem Ton. Er seufzte gereizt. Sie machen ja ohnehin, was Sie wollen, sollte das vermutlich heißen. Dann setzte er sich mit dem Kugelschreiber in der Hand wieder an den Schreibtisch und nahm sich das Dokument vor, in dem er zu lesen
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