Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

1Q84: Buch 1&2

Titel: 1Q84: Buch 1&2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
Vom Netzwerk:
Plastikabdeckung drei Säcke. Es war nicht zu erkennen, was sie enthielten, aber offenbar sollten sie nicht vom Regen durchnässt werden. Auch sie schienen bei Bauarbeiten übrig geblieben zu sein. Wahrscheinlich hatte man sie einfach liegen lassen, weil es zu mühsam war, sie einzeln wegzuschaffen. Unter der Abdeckung standen noch mehrere große alte Pappkartons. PET-Flaschen und Mangahefte lagen auf dem Boden herum. Sonst nichts. Ein paar Plastiktüten tanzten ziellos im Wind.
    Der Ausgang bestand aus einem hohen Maschendrahttor, das mehrfach mit einer Kette und einem schweren Vorhängeschloss gesichert und oben mit Stacheldraht umwickelt war. Es sah nicht so aus, als könne sie darübersteigen. Sie würde sich nur ihr Kostüm völlig zerfetzen. Probeweise rüttelte sie an dem Tor, aber es rührte sich nicht. Es gab nicht einmal einen Spalt, der breit genug für eine Katze gewesen wäre. Du liebe Güte, warum musste man dieses Tor dermaßen verrammeln? Was gab es hier schon zu klauen oder zu zerstören? Aomame verzog das Gesicht, fluchte und spuckte auf den Boden. Verdammt, jetzt hatte sie sich mühsam von der Straße hier heruntergearbeitet, nur um auf diesem Abstellplatz festzusitzen. Sie schaute auf ihre Armbanduhr. Etwas Zeit blieb ihr noch. Aber die konnte sie nicht ewig auf dieser Müllkippe vertrödeln. Um zur Autobahn zurückzugehen, war es natürlich auch zu spät.
    Ihre Strümpfe waren an den Fersen zerrissen. Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass niemand sie sah, entledigte sie sich ihrer Schuhe, schob den Rock hoch und zerrte sich die Strumpfhose von den Beinen. Sie zog die Schuhe wieder an. Die durchlöcherte Strumpfhose stopfte sie in die Tasche. Sie fühlte sich etwas erleichtert. Dann schritt sie das Grundstück ab und nahm alles genau in Augenschein. Es hatte etwa die Größe eines Klassenzimmers in einer Grundschule. Ihr Rundgang dauerte nicht lange. Es gab tatsächlich nur den einen Ausgang. Das fest verschlossene Maschendrahttor. Der Zaun, der das Grundstück umgab, war aus leichtem Material, aber dennoch fest verankert. Ohne Werkzeug war da nichts zu machen. Aussichtslos.
    Sie inspizierte die Pappkartons unter dem Plastikdach, und ihr wurde klar, dass es Schlafplätze waren. Mehrere zerschlissene, aber noch gar nicht so alte Decken lagen dort zusammengerollt. Wahrscheinlich übernachteten hier ein paar Obdachlose. Deshalb lagen auch die PET-Flaschen und Zeitschriften herum. Kein Zweifel. Aomame ließ ihren Verstand arbeiten. Wenn sie hier übernachteten, musste es irgendwo ein Loch geben, durch das sie hinein- und hinausschlüpften. Diese Leute beherrschten die Kunst, Plätze ausfindig zu machen, an denen sie vor Regen und Wind geschützt waren, ohne gesehen zu werden. Und wie das Wild sicherten sie sich geheime Pfade, die nur sie kannten.
    Sorgfältig und Stück für Stück untersuchte Aomame die Pfosten des Zauns. Drückte fest mit der Hand dagegen, um zu prüfen, ob sie nachgaben. Wie vermutet entdeckte sie eine Stelle, an der ein Bolzen locker war und der Pfosten wackelte. Sie bewegte ihn hin und her. Wenn man ihn in einem bestimmten Winkel leicht nach innen zog, entstand eine Lücke, durch die ein Mensch hindurchschlüpfen konnte. Vermutlich kamen hier die Obdachlosen herein, wenn es dunkel wurde, um ungestört unter dem Dach zu übernachten. Wahrscheinlich bekämen sie Ärger, wenn man sie innerhalb des Zauns entdeckte, also hielten sie sich tagsüber draußen auf und suchten sich etwas zu essen, sammelten leere Flaschen oder verdienten sich ein bisschen Kleingeld. Aomame war ihren namenlosen nächtlichen Hausherren dankbar. Jetzt, wo sie sich selbst heimlich und namenlos hinter den Kulissen der großen Stadt bewegte, empfand sie sich als deren Verbündete.
    Sie bückte sich und glitt durch den engen Spalt hinaus. Dabei nahm sie sich sehr in Acht, um nicht mit ihrem teuren Kostüm an etwas Spitzem hängenzubleiben und es zu zerreißen. Es war schließlich das einzige, das sie besaß. Normalerweise trug sie keine Kostüme oder so etwas. Und auch keine hohen Absätze. Doch Aufträge wie dieser erforderten eine förmliche Garderobe. Auf keinen Fall durfte sie ihr kostbares Kostüm ruinieren.
    Glücklicherweise war auch außerhalb des Zauns kein Mensch. Nachdem Aomame ihre Kleidung inspiziert und ihre Gelassenheit zurückgewonnen hatte, überquerte sie an einer Ampel die 246, betrat eine Drogerie, die ihr dort ins Auge fiel, und kaufte sich eine neue Strumpfhose. Sie bat die Verkäuferin,

Weitere Kostenlose Bücher