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1Q84: Buch 1&2

Titel: 1Q84: Buch 1&2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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ließ einen Moment verstreichen. Dann ließ sie die Hand abrupt fallen. Auf das hölzerne Heft der Nadel. Nicht allzu stark. Bei zu großem Kraftaufwand hätte die Nadel unter der Haut abbrechen können. Sie durfte aber die Nadelspitze nicht zurücklassen. Leicht, fast liebevoll, genau im richtigen Winkel und mit genau der richtigen Stärke, ließ sie die Handfläche auf das Heft der Nadel fallen. Ohne sich der Schwerkraft zu widersetzen, zack . Damit die feine Nadelspitze ganz natürlich von der Stelle aufgenommen wurde. Tief, glatt und tödlich. Worauf es ankam, waren der Winkel und die Art, in der sie die Kraft einsetzte – oder vielmehr, die Kraft nicht einsetzte. Wenn sie all das beherzigte, war das Übrige nicht schwerer, als eine Nadel in Tofu zu stecken. Die Nadelspitze drang ins Fleisch ein, stieß in einen bestimmten Teil unterhalb des Gehirns, und das Herz hörte auf zu schlagen. Es war, als bliese man eine Kerze aus. In einem Augenblick war alles vorbei. Fast zu schnell. Nur Aomame konnte das. Niemand sonst war imstande, diesen versteckten Punkt mit der Hand zu ertasten. Sie schon. Ihre Fingerspitzen besaßen diese besondere intuitive Gabe.
    Sie hörte, wie der Mann nach Luft schnappte. Seine gesamte Muskulatur zog sich plötzlich zusammen. Nun zog sie die Nadel behutsam heraus und presste unverzüglich ein Stückchen Gaze, das sie in ihrer Tasche bereithielt, auf die Wunde, um zu verhindern, dass Blut austrat. Die Nadel war sehr fein und der Stich eine Sache von einer Sekunde. Wenn überhaupt, blutete die Einstichstelle nur ganz leicht. Dennoch musste sie auf Nummer sicher gehen. Es durfte keine Spur von Blut zurückbleiben. Ein Tropfen konnte fatale Folgen haben. Wachsamkeit war Aomames Stärke.
    Aus Miyamas kurzzeitig erstarrtem Körper wich langsam und allmählich die Spannung. Als würde man aus einem Basketball die Luft herauslassen. Den Zeigefinger auf den bewussten Punkt im Nacken des Mannes gedrückt, ließ Aomame seinen Körper vornüber auf den Tisch sinken, sodass sein Gesicht seitwärts auf den Dokumenten zu liegen kam. Seine Augen hatten sich zu einem überraschten Ausdruck gerundet. Als sei er bei seinem Ende Zeuge von etwas unfassbar Verwunderlichem geworden. Sein Blick drückte weder Angst noch Schmerz aus. Nur reines Erstaunen. Ihm war etwas sehr Ungewöhnliches zugestoßen. Aber was, das konnte er nicht begreifen. Nicht einmal, ob es sich um Schmerz, einen Juckreiz, Wohlbehagen oder irgendeine Offenbarung handelte, hätte er zu sagen gewusst. Es gibt viele Arten zu sterben auf der Welt, aber einen bequemeren Tod als diesen konnte es nicht geben.
    Wahrscheinlich hattest du einen viel zu angenehmen Tod, dachte Aomame und verzog das Gesicht. Viel zu leicht. Ich hätte dir lieber mit einem Golfeisen zwei oder drei Rippen brechen, dir richtig wehtun und am Ende den Gnadentod gewähren sollen. Denn eine Ratte wie du verdient einen elenden Tod. Weil du genau das auch deiner Frau angetan hast. Bedauerlicherweise hatte ich nicht die Freiheit der Wahl. Mein Auftrag lautete, dich schnell und unauffällig, aber sicher ins Jenseits zu befördern. Und diesen Auftrag habe ich nun erfüllt. Gerade warst du noch am Leben. Aber jetzt bist du tot. Ohne es selbst zu merken, hast du die Schwelle vom Leben zum Tod überschritten.
    Genau fünf Minuten presste Aomame die Gaze auf die Wunde. Gewissenhaft und gerade so fest, dass ihr Finger keinen Abdruck hinterließ. Während der gesamten Zeit ließ sie den Sekundenzeiger ihrer Armbanduhr nicht aus den Augen. Es waren lange fünf Minuten. Sie kamen ihr vor wie eine Ewigkeit. Falls jetzt jemand die Tür öffnen, das Zimmer betreten und sehen würde, wie sie, die spitze gefährliche Waffe in der einen Hand, den Finger auf den Nacken des Mannes presste, wäre alles aus. Sie würde sich nicht herausreden können. Womöglich würde der Zimmerkellner das Kaffeekännchen abräumen wollen. Womöglich würde es gleich klopfen. Aber diese fünf Minuten waren entscheidend, und sie konnte sie nicht verkürzen. Um ihre Nerven zu beruhigen, atmete sie langsam und tief ein und aus. Sie durfte sich nicht hetzen. Durfte ihren kühlen Kopf nicht verlieren. Musste die harte, kaltblütige Aomame sein, die sie immer war.
    Sie konnte ihren Herzschlag hören. In ihrem Geist ertönte im Gleichklang das Thema der Fanfare von Janáčeks Sinfonietta . Eine sanfte Brise strich lautlos über die grünen Felder von Böhmen. Sie merkte, dass ihre Gefühle gespalten waren. Einerseits

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