1Q84: Buch 1&2
Fukaeris Verschwinden oder ob Die Puppe aus Luft sich noch verkaufte. Eigentlich interessierte es ihn auch nicht besonders. Alles würde auch ohne ihn seinen Gang gehen, und wenn es etwas zu tun gab, würde man es ihm schon sagen.
Der August ging zu Ende, der September begann. So friedlich könnte es von mir aus ewig weitergehen, dachte Tengo eines Morgens beim Kaffeekochen. Er sagte es nicht laut, damit kein böser Geist mit scharfen Ohren es hörte, und hoffte stumm, es würde noch lange so bleiben. Doch wie meistens entwickelten die Dinge sich nicht wunschgemäß. Vielmehr schien die Welt einen ausnehmend guten Sinn für das zu haben, was Tengo eben nicht wollte .
Kurz nach zehn an jenem Morgen läutete das Telefon. Nachdem er es sieben Mal hatte klingeln lassen, streckte Tengo resigniert die Hand aus und hob den Hörer ab.
»Kann ich zu Ihnen kommen«, sagte eine gedämpfte Stimme. Tengo kannte nur einen Menschen auf der Welt, der fragte, ohne zu fragen. Im Hintergrund waren eine Durchsage und Auspufflärm zu hören.
»Wo bist du gerade?«, fragte Tengo.
»Am Eingang von Marusho.«
Dieser Supermarkt lag kaum zweihundert Meter von seiner Wohnung entfernt. Anscheinend rief Fukaeri von dem öffentlichen Telefon dort an.
Tengo blickte sich unwillkürlich um. »Nein, du kannst nicht zu mir. Möglicherweise wird mein Haus beobachtet. Und du bist doch angeblich verschwunden.«
»Ihr Haus wird beobachtet«, wiederholte Fukaeri seine Worte.
»Ja«, sagte Tengo. »Bei mir sind alle möglichen sonderbaren Dinge passiert. Ich bin sicher, dass Die Puppe aus Luft damit zu tun hat.«
»Jemand ist wütend.«
»Wahrscheinlich. Wütend auf dich. Und scheinbar auch auf mich. Weil ich es umgeschrieben habe.«
»Ist mir egal«, sagte Fukaeri.
»Ist mir egal«, wiederholte Tengo nun seinerseits ihre Worte. Diese Angewohnheit schien ansteckend zu sein. »Was ist dir egal?«
»Wenn Ihr Haus beobachtet wird.«
Einen Moment lang fehlten ihm die Worte. »Aber mir ist es nicht egal«, sagte Tengo endlich.
»Zu zweit ginge es besser«, sagte Fukaeri. »Mit vereinten Kräften.«
»Sonny und Cher«, sagte Tengo. »Das ultimative Duo.«
»Was heißt ›ultimativ‹?«
»Ach, nichts. Hab ich nur so gesagt.«
»Ich komme zu Ihnen.«
Als Tengo zu einer Erwiderung ansetzte, knackte es, und die Verbindung war unterbrochen. Ständig legten die Leute auf, wann es ihnen passte. Abrupt, als würden sie mit dem Hackmesser eine Hängebrücke kappen.
Zehn Minuten später traf Fukaeri ein, in jeder Hand eine Plastiktüte von dem Supermarkt. Sie trug ein blaugestreiftes Hemd mit langen Ärmeln und enge Blue Jeans. Es war ein Männerhemd und nicht sehr adrett, wahrscheinlich, weil man es in trockenem Zustand gebügelt hatte. Über ihrer Schulter hing eine Kanvastasche. Sie verbarg ihr Gesicht hinter einer großen Sonnenbrille, die allerdings die Aufgabe einer Maskierung nur schlecht erfüllte und eher Aufmerksamkeit erregte.
»Es ist besser, viel Essen zu haben«, sagte Fukaeri, während sie den Inhalt der Plastiktüten in den Kühlschrank räumte. Sie hatte fast ausschließlich Mikrowellengerichte gekauft. Ihre restlichen Einkäufe bestanden aus Crackern, Käse, Äpfeln und Tomaten. Und Dosen.
»Wo ist die Mikrowelle.« Fragend sah sie sich in der kleinen Küche um.
»Ich habe keine«, antwortete Tengo.
Fukaeri zog grüblerisch die Brauen zusammen, äußerte aber keine Meinung. Offenbar erschien ihr eine Welt ohne Mikrowellenherd nahezu unvorstellbar.
»Ich werde hierbleiben«, sagte sie, als würde sie eine objektive Tatsache bekannt geben.
»Wie lange?«, fragte Tengo.
Fukaeri zuckte mit den Schultern. Ich weiß es nicht, sollte das heißen.
»Was ist mit deinem Versteck?«
»Wenn etwas passiert, will ich nicht allein sein.«
»Meinst du, es passiert etwas?«
Fukaeri gab keine Antwort.
»Ich wiederhole mich, aber hier ist es nicht sicher«, sagte Tengo. »Anscheinend haben irgendwelche Leute mich im Visier. Was das für Typen sind, weiß ich noch nicht.«
»Es gibt keinen sicheren Ort«, sagte Fukaeri. Dabei kniff sie vielsagend die Augen zusammen und drückte leicht mit den Fingern ihr Ohrläppchen. Tengo hatte keine Ahnung, was ihre Körpersprache bedeutete. Vielleicht bedeutete sie auch gar nichts.
»Also ist es egal, wo du bist«, sagte Tengo.
»Es gibt keinen sicheren Ort«, wiederholte Fukaeri.
»Wahrscheinlich hast du sogar recht«, sagte Tengo ergeben. »Wenn man erst einmal eine bestimmte Ebene überschritten
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