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1Q84: Buch 1&2

Titel: 1Q84: Buch 1&2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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es ebenso frevelhaft, sich über sich selbst zu erheben, wie sich herabzusetzen.‹
    Ob das, was wir als ›Little People‹ bezeichnen, gut ist oder böse, weiß ich nicht.
    Es übersteigt gewissermaßen unser Verständnis oder Definitionsvermögen. Schon seit Ewigkeiten leben wir mit ihnen zusammen. Seit der Dämmerung des menschlichen Bewusstseins, lange bevor es Gut und Böse gab. Das Wichtigste ist jedoch – ob die Little People nun gut oder böse, Licht oder Schatten sind –, dass ein ausgleichender Prozess einsetzt, sobald ihre Macht überhandzunehmen droht. Zu der Zeit, als ich zum Vertreter der Little People wurde, entwickelte sich meine Tochter zu einem Wesen, das ihnen entgegenwirkt. Auf diese Weise wurde ein Gleichgewicht gewahrt.«
    »Ihre Tochter?«
    »Ja. Zu Anfang war es meine Tochter, durch die die Little People den Weg zu uns fanden. Sie war damals zehn Jahre alt. Jetzt ist sie siebzehn. Sie tauchten eines Tages aus der Dunkelheit auf. Sie gelangten über meine Tochter zu mir und machten mich zu ihrem Vertreter. Meine Tochter war diejenige, die sie wahrnahm – wir nennen das ›Perceiver‹ –, und ich wurde zum Empfänger, zum ›Receiver‹. Offenbar verfügen wir zufällig über diese Begabung. Jedenfalls waren es die Little People, die uns entdeckt haben. Nicht umgekehrt.«
    »Und Sie haben Ihre Tochter vergewaltigt.«
    »Ich habe mich mit ihr vereinigt «, sagte er. »Das Wort kommt der Realität näher. Vereinigt habe ich mich letztendlich mit der Idee meiner Tochter. Vereinigen ist ein mehrdeutiger Begriff. Im Kern bedeutet es, dass wir eins wurden. Als Perceiver und Receiver.«
    Aomame schüttelte den Kopf. »Ich verstehe nicht, von was Sie reden. Sie haben sexuell mit Ihrer eigenen Tochter verkehrt, aber irgendwie auch wieder nicht?«
    »Ich kann es nur immer wieder sagen: Die Antwort lautet Ja und Nein.«
    »Und bei der kleinen Tsubasa war es das Gleiche?«
    »Im Prinzip.«
    »Aber die Zerstörung von Tsubasas Eierstöcken ist real .«
    Der Mann schüttelte den Kopf. »Was Sie gesehen haben, war eine ideelle Gestalt. Ohne Substanz.«
    Aomame konnte dem Gespräch kaum noch folgen. Sie machte eine Pause und sprach erst wieder, nachdem sie tief durchgeatmet hatte.
    »Verstehe ich Sie richtig: Eine Idee nimmt menschliche Gestalt an und kann in dieser Gestalt einfach so kommen und gehen?«
    »Vereinfacht ausgedrückt.«
    »Die kleine Tsubasa, die ich gesehen habe, war also nicht real?«
    »Deshalb wurde sie zurückgeholt.«
    »Zurückgeholt!«
    »Zurückgeholt und geheilt. Sie erhält die notwendige medizinische Behandlung.«
    »Ich glaube Ihnen nicht«, sagte Aomame barsch.
    »Das kann ich dir nicht verdenken«, sagte der Mann gleichmütig.
    Für einen Augenblick fehlten Aomame die Worte. Dann stellte sie eine neue Frage. »Durch die ideelle, mehrdeutige Vergewaltigung Ihrer Tochter wurden Sie zum Repräsentanten der Little People. Doch um dies zu kompensieren, wurde Ihre Tochter fast gleichzeitig von Ihnen getrennt und gewissermaßen zu Ihrer Gegnerin. Das ist es doch, was Sie im Grunde behaupten?«
    »Ganz recht. Sie hat dafür ihre eigene Tochter – ihre ›Daughter‹, wie wir es nennen – verlassen«, sagte der Mann. »Aber Sie verstehen nicht, was das bedeutet, nicht wahr?«
    »Daughter?«, sagte Aomame.
    »Sie ist so etwas wie ein lebendiger Schatten. Hier kommt auch noch ein anderer Mensch ins Spiel. Ein persönlicher Freund von mir aus alten Tagen. Ein Mann, auf den ich mich verlassen kann. Ihm habe ich meine Tochter anvertraut. Vor nicht allzu langer Zeit ist auch der dir hinlänglich bekannte Tengo Kawana zu ihnen gestoßen. Tengo und meine Tochter wurden durch Zufall miteinander bekannt und taten sich zusammen.«
    Es war, als bliebe die Zeit plötzlich stehen. Aomame verschlug es den Atem. Wie erstarrt wartete sie, dass die Zeit sich wieder in Bewegung setzte.
    Der Mann fuhr fort. »Die beiden ergänzen sich. Eriko hat etwas, das Tengo fehlt, und umgekehrt. Also haben sie ihre Kräfte im Dienste einer bestimmten Aufgabe vereint. Und das Ergebnis zeigt gewaltigen Einfluss. Im Zusammenhang mit der Bewegung gegen die Little People, meine ich.«
    »Die beiden haben sich zusammengetan?«
    »Sie haben keine Liebesbeziehung, es ist auch nichts Körperliches zwischen ihnen. Keine Sorge, falls du an so was denkst. Eriko verliebt sich nicht – sie hat diese Ebene überschritten.«
    »Und was ist das Ergebnis dieser Zusammenarbeit? Konkret gesagt?«
    »Um das zu erklären, muss ich

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