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1Q84: Buch 1&2

Titel: 1Q84: Buch 1&2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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mich einer weiteren Analogie bedienen. Nehmen wir an, die Little People funktionieren wie ein Virus, dann haben die beiden Antikörper dagegen gebildet, die sie auch verbreiten können. Doch aus der Perspektive der Little People sind die beiden natürlich gefährliche Virusträger. Alles hat seine Kehrseite.«
    »Das ist die Ergänzung, von der Sie sprechen, nicht wahr?«
    »So ist es. Der Mann, den du liebst, und meine Tochter haben das gemeinsam vollbracht. Das heißt, dass ihr, du und Tengo, euch buchstäblich auf den Fersen seid.«
    »Aber das ist kein Zufall , wie Sie behaupten. Schließlich bin ich durch einen wie auch immer gearteten Willen in diese Welt transportiert worden. So ist es doch?«
    »Richtig. Man hat dich zu einem bestimmten Zweck hierhergebracht. In die Welt des Jahres 1Q84. Dass ihr – du und Tengo – hier in Beziehung zueinander steht, in welcher Form auch immer, ist natürlich kein Zufall.«
    »Zu welchem Zweck? Und was ist das für ein Wille?«
    »Das zu erklären liegt nicht in meiner Macht«, antwortete der Mann. »Tut mir leid.«
    »Warum können Sie mir das nicht erklären?«
    »Weil die Bedeutung verlorengeht, sobald man sie in Worte fasst.«
    »Dann also eine andere Frage«, sagte Aomame. »Warum ich?«
    »Du scheinst den Grund noch immer nicht zu verstehen.«
    Aomame schüttelte mehrmals heftig den Kopf. »Nein, ich verstehe ihn nicht. Überhaupt nicht .«
    »Die Sache ist ganz einfach. Weil zwischen dir und Tengo eine so starke Anziehungskraft besteht.«
    Lange schwieg Aomame. Schweiß trat ihr auf die Stirn. Bald hatte sie das Gefühl, ihr ganzes Gesicht sei von einem unsichtbaren dünnen Film überzogen.
    »Wir ziehen uns gegenseitig an«, sagte sie.
    »Ja, sehr stark.«
    Unvermittelt wallte Zorn in ihr auf. Begleitet von einer leichten Übelkeit. »Das kann ich nicht glauben. Wahrscheinlich erinnert er sich nicht einmal mehr an mich.«
    »Doch, Tengo weiß genau, dass es dich gibt, und er sehnt sich nach dir. Er hat bisher niemals eine andere Frau geliebt.«
    Wieder war Aomame sprachlos. Zwischen den heftigen Donnerschlägen entstand eine kurze Pause, dann begannen sie von neuem. Endlich schien es auch zu regnen. Große, schwere Tropfen klatschten an die Scheiben. Doch Aomame nahm das Geräusch kaum wahr.
    »Es steht dir frei, das zu glauben oder nicht, aber du tätest gut daran. Denn es handelt sich um eine unumstößliche Tatsache.«
    »Obwohl wir uns seit zwanzig Jahren nicht gesehen haben, erinnert er sich an mich? Ich habe ja noch nicht einmal richtig mit ihm gesprochen.«
    »Du hast damals in dem leeren Klassenzimmer Tengos Hand gedrückt, so fest du konntest. Als du zehn Jahre alt warst. Dazu musstest du deinen gesamten Mut zusammennehmen.«
    Aomames Gesicht verzerrte sich. »Wie können Sie davon wissen?«
    Der Mann ging nicht auf ihre Frage ein. »Tengo hat das niemals vergessen. Und die ganze Zeit über an dich gedacht. Auch jetzt denkt er noch an dich. Du solltest mir glauben. Ich weiß eine Menge. Zum Beispiel, dass du jetzt noch beim Masturbieren an Tengo denkst. Ihn dir vorstellst. Richtig?«
    Aomame öffnete den Mund, aber es hatte ihr die Sprache verschlagen. Sie schnappte nur leicht nach Luft.
    »Das ist nichts, wofür man sich schämen müsste«, fuhr der Mann fort. »Ein ganz natürlicher Vorgang bei einem Menschen. Tengo tut das Gleiche. Und denkt dabei an dich. Noch immer.«
    » Wieso wissen Sie …«
    »Weshalb ich das weiß? Wenn man die Ohren offenhält, erfährt man vieles. Und schließlich ist es meine Aufgabe, Stimmen zu hören.«
    Aomame hätte am liebsten laut herausgelacht und gleichzeitig geweint. Aber beides zu tun war ihr unmöglich. Sie war wie erstarrt, ohne sich für das eine oder das andere entscheiden zu können.
    »Fürchte dich nicht«, sagte der Mann.
    »Fürchten?«
    »Du fürchtest dich. Wie der Vatikan sich davor gefürchtet hat, das heliozentrische Weltbild zu akzeptieren. Nicht dass man das ptolemäische Weltbild für so besonders unfehlbar hielt. Man hatte nur Angst vor den Neuerungen, die die Einführung des heliozentrischen Weltbildes mit sich bringen würde. Und vor den damit erforderlichen Bewusstseinsänderungen. In Wahrheit hat die katholische Kirche das heliozentrische Weltbild bis heute nicht richtig akzeptiert. Du bist genauso. Du fürchtest dich davor, die schwere schützende Rüstung, die du so lange getragen hast, ablegen zu müssen.«
    Aomame schlug die Hände vors Gesicht und schluchzte mehrmals laut auf. Sie wollte es

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