Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

1Q84: Buch 1&2

Titel: 1Q84: Buch 1&2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
Vom Netzwerk:
hier gesessen. Ohne jeden Zweifel. Sie stieg auf die Rutschbahn und sah sich im Stehen um. Keine Menschenseele zu sehen. Aber weit konnte er noch nicht sein, wo er doch gerade noch hier gewesen war. Mehr als vier oder fünf Minuten konnten nicht vergangen sein. Wenn sie jetzt loslief, würde sie ihn vielleicht noch einholen.
    Doch sie überlegte es sich anders. Hielt ihren Drang, ihm zu folgen, mit aller Kraft im Zaum. Nein, das geht nicht. Das kann ich nicht machen, dachte sie. Ich weiß nicht mal, in welche Richtung er gegangen ist. Ich werde nicht versuchen, Tengo zu finden, indem ich ziellos durch die nächtlichen Straßen von Koenji renne. Das darf ich nicht. Ich sitze in dem Gartenstuhl und überlege hin und her. In dieser Zeit steigt Tengo von der Rutschbahn und geht weg. Das ist mein Schicksal. Ich habe zu lange gezögert, konnte mich nicht entscheiden, und währenddessen ist Tengo verschwunden. So was kann auch nur mir passieren.
    Am Ende war es vielleicht am besten so, sagte sie sich. Immerhin bin ich Tengo zufällig begegnet. Ich konnte ihn nur durch eine Straße getrennt sehen und davon träumen, dass er mich in die Arme nimmt. Auch wenn es bloß ein paar Minuten waren, konnte ich doch das Glück und die Hoffnung mit meinem ganzen Sein genießen. Die Augen geschlossen, umklammerte Aomame das Geländer der Rutschbahn. Sie biss sich auf die Lippen.
    In der gleichen Haltung wie Tengo schaute sie nun nach Südwesten, wo nebeneinander der große und der kleine Mond schienen. Dann blickte sie zu ihrem Balkon im zweiten Stock des Apartmenthauses hinüber. In der Wohnung brannte Licht. Gerade noch hatte sie Tengo von dort aus auf der Rutschbahn gesehen. Noch immer schien dem Balkon etwas von ihrer tiefen Verunsicherung anzuhaften.
    1Q84 – so habe ich diese Welt genannt. Erst vor einem halben Jahr habe ich sie betreten, und bald werde ich sie wieder verlassen. Unabsichtlich bin ich hierhergekommen, absichtlich werde ich gehen. Tengo wird bleiben, auch wenn ich fort bin. Natürlich weiß ich nicht, wie diese Welt sich für ihn entwickeln wird. Und habe auch kein Mittel, es zu erfahren. Aber das macht nichts. Ich bin bereit, für ihn zu sterben. Mein eigenes Leben kann ich nicht führen. Diese Möglichkeit wurde mir von vornherein geraubt. Immerhin kann ich stattdessen für Tengo sterben. Das genügt mir. Ich gehe lächelnd in den Tod.
    Das ist keine Lüge.
    Aomame bemühte sich, zumindest ein wenig von Tengos Präsenz in sich aufzunehmen. Doch an den kalten Stangen der Rutschbahn war nicht die geringste Wärme zurückgeblieben. Der Nachtwind, der schon eine Ahnung von Herbst in sich trug, fegte durch das Laub des Keyakibaums, wie um jede Spur auszulöschen. Dennoch blieb Aomame lange sitzen und schaute zu den beiden Monden hinauf. Badete in ihrem seltsamen Licht, dem jedes Gefühl fehlte. Umgeben vom Lärm der Großstadt, der sich aus allen möglichen Geräuschen zu einem Basso continuo verband. Aomame musste an die Spinnchen denken, die ihre Netze an der Treppe der Stadtautobahn gesponnen hatten. Ob sie noch lebten und weiter ihre Netze spannen?
    Aomame lächelte.
    Ich bin bereit, dachte sie.
    Aber zuvor musste sie noch eine bestimmte Stelle aufsuchen.

KAPITEL 22
    Tengo
    Solange es zwei Monde gibt
    Tengo kletterte von der Rutsche, verließ den Park und ging ziellos durch die Straßen. Er achtete kaum auf den Weg und bemühte sich, Ordnung in seine wirren Gedanken zu bringen. Doch es half nichts, er konnte einfach nicht mehr klar denken. Wahrscheinlich hatte er sich dort auf der Rutschbahn schon zu vielen Grübeleien hingegeben: über die beiden Monde, über Blutsbande, über einen Neuanfang, über seinen schwindelerregenden Tagtraum, über Fukaeri und Die Puppe aus Luft , über Aomame, die sich irgendwo in der Nähe versteckte. In seinem Kopf herrschte ein furchtbares Durcheinander, die Grenzen seiner Konzentrationsfähigkeit waren erreicht. Er wollte möglichst schnell ins Bett und schlafen. Morgen früh konnte er weiter nachdenken. Es würde sowieso nichts dabei herauskommen, wenn er sich jetzt weiter den Kopf zerbrach.
    Als Tengo in die Wohnung kam, saß Fukaeri an seinem Schreibtisch und spitzte eifrig mit einem kleinen Taschenmesser einen Bleistift. Tengo hatte meistens ungefähr zehn in seinem Bleistiftständer, doch nun hatte ihre Zahl sich verdoppelt. Fukaeri hatte sie bewundernswert präzise gespitzt. Noch nie hatte Tengo so schön gespitzte Bleistifte gesehen. Sie waren spitz wie Nähnadeln.
    »Es hat

Weitere Kostenlose Bücher