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1Q84: Buch 1&2

Titel: 1Q84: Buch 1&2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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so häufig, wenn sie verstört war und nicht herausschreien wollte. Ihre Züge verzerrten sich bis zum Extrem, sodass ihr Gesicht sich in das eines anderen Menschen verwandelte. Erst nachdem sie ihre Gesichtsmuskeln in sämtliche Richtungen zu allen möglichen Grimassen verzerrt hatte, entspannten sich ihre Züge, und sie sah aus wie immer.
    Warum machte sie nur ein solches Gewese um diesen Gummibaum?
    Tamaru behandelt den Gummibaum bestimmt gut, dachte Aomame. Bestimmt viel besser und fürsorglicher als ich. Schließlich ist er – im Gegensatz zu mir – daran gewöhnt, sich um lebendige Wesen zu kümmern und liebevoll mit ihnen umzugehen. Den Hund hat er wie sein eigenes Fleisch und Blut behandelt. Selbst für die Pflanzen in der Weidenvilla hat er ein Herz. Sobald er etwas Zeit hat, geht er durch den Garten, um sie gründlich in Augenschein zu nehmen. Und im Waisenhaus hat er diesen armen dusseligen Jungen unter seine Fittiche genommen und beschützt. Unter Einsatz seines Lebens. Ich könnte so etwas nie. Mir fehlen die Reserven, um Verantwortung für andere Menschen zu übernehmen. Die Last meines eigenen Lebens und meiner Einsamkeit zu tragen kostet mich schon meine ganze Kraft.
    Das Wort Einsamkeit erinnerte Aomame an Ayumi.
    Irgendein Mann hatte sie in einem Love-Hotel mit ihren eigenen Handschellen ans Bett gefesselt, brutal vergewaltigt und mit dem Gürtel eines Bademantels erwürgt. Soweit Aomame wusste, war der Täter noch nicht gefasst worden. Obwohl Ayumi eine Familie und Kollegen gehabt hatte, war sie einsam gewesen. So einsam, dass sie auf diese grausame Weise hatte sterben müssen. Und ich, dachte Aomame, habe ihr nicht geben können, was sie sich von mir erhoffte. Aber ich hatte ein Geheimnis und musste für mich bleiben. Ich konnte es doch auf keinen Fall mit ihr teilen. Warum musste Ayumi sich ausgerechnet mich als Herzensfreundin aussuchen? Als gäbe es nicht massenhaft andere Leute auf dieser Welt.
    Als sie die Augen schloss, tauchte der Gummibaum, den sie in ihrer leeren Wohnung zurückgelassen hatte, vor ihr auf.
    WARUM MACHTE SIE NUR EIN SOLCHES GEWESE UM DIESEN GUMMIBAUM ?
    Aomame begann zu weinen. Was ist nur los mit mir?, dachte sie mit leichtem Kopfschütteln. Ich heule neuerdings zu viel. Und auch noch wegen diesem blöden Gummibaum. Aber sie konnte ihre Tränen nicht zurückhalten. Sie schluchzte, dass ihre Schultern bebten. Nichts ist mir geblieben. Nicht einmal ein schäbiger Gummibaum. Alles, was mir etwas wert ist, verschwindet. Alle verlassen mich. Nur die Erinnerung an Tengo ist mir noch geblieben.
    Ich muss aufhören zu weinen, sagte sie sich. Ich bin jetzt in Tengos Innerem. Wie dieses »Mikro-Selbstmordkommando« von Wissenschaftlern – genau, das war der japanische Titel dieses Films über die phantastische Reise durch den Körper eines Menschen. Dass der Titel des Films ihr wieder eingefallen war, richtete Aomame seelisch etwas auf. Sie hörte auf zu weinen. Sie konnte weinen, soviel sie wollte, es würde nichts helfen. Sie musste wieder die kaltblütige, harte Aomame werden.
    Aber wer verlangte das eigentlich von ihr?
    Ich, sagte sie.
    Und sah sich um. Am Himmel standen die beiden Monde.
    »Das ist das Zeichen. Du musst den Himmel aufmerksam im Auge behalten«, hatte einer der Little People gesagt. Der mit der leisen Stimme war es gewesen.
    »Hoho«, sagte der Zwischenrufer.
    Plötzlich bemerkte sie ihn. Sah, dass sie nicht der einzige Mensch war, der in diesem Moment zu den Monden hinaufschaute. Auf dem Spielplatz auf der anderen Seite der Straße war ein junger Mann. Er saß oben auf der Rutsche und starrte in die gleiche Richtung wie sie. Der Mann sieht zwei Monde, genau wie ich. Das war Aomame sofort klar. Ohne jeden Zweifel. Er sieht das Gleiche wie ich, dachte sie. Er kann sie sehen . Diese Welt hat tatsächlich zwei Monde. Aber wenn es stimmt, was der Leader gesagt hat, können nicht alle sie sehen.
    Aber dass der große junge Mann dort auf der Rutschbahn die beiden Monde sah, war unverkennbar. Darauf wäre sie jede Wette eingegangen. Sie wusste es ganz genau. Er sah einen großen gelben Mond und einen kleinen grünen, der wie mit Moos überwachsen wirkte und asymmetrisch war. Und er schien zu überlegen, was diese beiden nebeneinanderstehenden Monde zu bedeuten hatten. Ob dieser Mann auch eine der Personen war, die unfreiwillig in die neue Welt des Jahres 1Q84 hinübergedriftet waren? Vielleicht war er verwundert und verstand nicht, was all das bedeutete. Ganz

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