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1Q84: Buch 1&2

Titel: 1Q84: Buch 1&2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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jemand angerufen«, sagte sie, eine Bleistiftspitze mit dem Daumen prüfend. »Aus Chikura.«
    »Du solltest doch nicht abheben!«
    »Aber es war ein wichtiger Anruf.«
    Das hatte sie vermutlich am Klingeln erkannt.
    »Worum ging es denn?«, fragte Tengo.
    »Haben sie nicht gesagt.«
    »Der Anruf kam aus dem Sanatorium in Chikura, oder?«
    »Sie sollen zurückrufen.«
    »Haben sie das gesagt?«
    »Ja. Egal, wie spät es ist.«
    Tengo seufzte. »Ich habe die Nummer nicht.«
    »Ich weiß sie.«
    Sie hatte die Nummer einfach so behalten. Tengo notierte sie sich auf einem Zettel. Dann warf er einen Blick auf die Uhr. Halb neun.
    »Gegen wie viel Uhr kam der Anruf?«
    »Eben erst.«
    Tengo ging in die Küche und trank ein Glas Wasser. Er stützte sich mit beiden Händen auf dem Rand des Spülbeckens ab und schloss die Augen. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass sein Kopf wieder einigermaßen normal arbeitete, ging er zum Telefon und wählte die Nummer. Vielleicht war sein Vater gestorben. Zumindest ging es um Leben und Tod. Sonst hätte das Sanatorium bestimmt nicht so spät noch angerufen.
    Eine Frau hob ab. Tengo nannte seinen Namen und sagte, er sei um Rückruf gebeten worden.
    »Sie sind Herrn Kawanas Sohn, nicht wahr?«, sagte sie.
    Tengo bejahte.
    »Sie haben Ihren Vater doch vor einigen Tagen besucht«, sagte die Frau.
    Vor Tengos innerem Auge tauchte das Bild der Krankenschwester mit der goldgeränderten Brille auf. An ihren Namen konnte er sich nicht erinnern.
    Er begrüßte sie kurz. »Sie hatten angerufen …?«, fragte er.
    »Ja, einen Moment bitte. Ich verbinde Sie mit dem behandelnden Arzt. Es ist besser, Sie sprechen direkt mit ihm.«
    Den Hörer ans Ohr gepresst, wartete Tengo. Es dauerte. Endlos schien sich die simple Melodie des Volkslieds auf dem Band zu wiederholen. Tengo schloss die Augen und dachte an die Landschaft der Boso-Küste, an der das Sanatorium lag, an das dichte Kiefernwäldchen und den Wind vom Meer, der sich darin verfing. Die unaufhörlich an den Strand schlagenden Wellen des Stillen Ozeans. Die ruhige, menschenleere Eingangshalle. Das Geräusch, das die Rollen der mobilen Betten machten, wenn sie durch die Flure geschoben wurden. Die sonnengebleichten Vorhänge. Die sauber gebügelte weiße Tracht der Krankenschwestern. Den ziemlich üblen dünnen Kaffee in der Kantine.
    Kurze Zeit später meldete sich der Arzt.
    »Ah, entschuldigen Sie, dass ich Sie habe warten lassen. Ich war gerade bei einem Notfall.«
    »Das ist doch kein Problem«, sagte Tengo und versuchte, sich das Gesicht des Arztes vorzustellen. Doch dann fiel ihm ein, dass er diesen Arzt ja noch nie gesehen hatte. Sein Verstand arbeitete anscheinend doch nicht ganz richtig. »Ist etwas mit meinem Vater?«
    Der Arzt ließ einen Moment verstreichen. »Heute ist eigentlich nicht direkt etwas passiert. Allerdings hat sich sein Befinden seit einer Weile chronisch verschlechtert. Er ist unterdessen in einen komatösen Zustand gefallen.«
    »Komatös?«, sagte Tengo.
    »Er schläft die ganze Zeit fest.«
    »Er ist also nicht bei Bewusstsein?«
    »So ist es.«
    Tengo überlegte. Er musste sein Hirn auf Trab bringen. »Hat eine Erkrankung dieses Koma verursacht?«
    »Nein, eigentlich nicht.« In der Stimme des Arztes schwang eine gewisse Verlegenheit mit.
    Tengo wartete.
    »Es ist schwierig, das am Telefon zu erklären. Sein Zustand ist gar nicht so besonders schlecht. Er hat kein Leiden, das man eindeutig beim Namen nennen kann, wie Krebs oder Lungenentzündung. Vom medizinischen Standpunkt aus können wir keine spezifische Krankheit diagnostizieren. Allerdings lässt bei Ihrem Herrn Vater die natürliche Lebensenergie, die die Körperfunktionen in Gang hält, zusehends nach. Was der Auslöser ist, wissen wir nicht. Somit können wir ihn auch nicht behandeln. Er wird künstlich ernährt, aber das ist letzten Endes nur eine Symptombehandlung, die nicht die Ursache bekämpft.«
    »Darf ich Sie ganz direkt etwas fragen?«, sagte Tengo.
    »Selbstverständlich«, sagte der Arzt.
    »Heißt das, dass mein Vater nicht mehr lange zu leben hat?«
    »Wenn sein augenblicklicher Zustand andauert, müssen wir mit allem rechnen.«
    »Ist es so etwas wie Altersschwäche?«
    »Ihr Vater ist erst in den Sechzigern«, sagte der Arzt in skeptischem Ton. »Das ist eigentlich noch zu früh für Altersschwäche. Außerdem ist er im Grunde ein recht gesunder Mensch. Abgesehen von seiner Demenz haben wir nichts Konkretes festgestellt. Bei den

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