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1Q84: Buch 1&2

Titel: 1Q84: Buch 1&2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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um ausgeschlossen zu werden. Ganz ähnlich wie in der Welt der Erwachsenen, aber bei Kindern tritt das in viel direkterer Form zutage.«
    »In welcher Form konkret?«
    Sie gab einige Beispiele. Jedes für sich war keine große Sache, aber wenn so etwas täglich passierte, litt ein Kind bestimmt darunter. Die anderen versteckten ihre Sachen. Sprachen nicht mit ihr. Äfften sie nach.
    »Bist du als Kind auch mal gepiesackt geworden?«
    Tengo dachte an seine Kindheit und überlegte. »Ich glaube nicht. Und wenn, habe ich es nicht bemerkt.«
    »Wenn du nichts gemerkt hast, bist du bestimmt nicht gehänselt worden. Schließlich ist es von vornherein das Ziel, den anderen spüren zu lassen, dass er nicht erwünscht ist. Dass jemand gequält wird, ohne es zu merken, ist unmöglich.«
    Tengo war schon als Kind ziemlich groß und stark gewesen. Er wurde immer sofort respektiert. Wahrscheinlich war er auch aus diesem Grund nie gemobbt worden. Allerdings hatte Tengo damals ernstere Probleme gehabt als die Hänseleien von Mitschülern.
    »Und du?«
    »Nein«, sagte sie entschieden. Doch dann zögerte sie. »Aber ich habe jemanden schikaniert.«
    »Gemeinsam mit anderen?«
    »Ja. Als ich in der fünften Klasse war. Wir hatten einen Jungen in der Klasse, und es sollte keiner mehr mit ihm reden. Ich kann mich nicht erinnern, warum wir das gemacht haben. Wahrscheinlich gab es einen Grund, aber da ich ihn nicht mehr weiß, kann er nicht besonders schwerwiegend gewesen sein. Auf alle Fälle tut mir das jetzt sehr leid. Ich schäme mich dafür. Warum habe ich so etwas getan? Ich verstehe es selbst nicht.«
    In diesem Zusammenhang fiel Tengo ein eigenes Erlebnis ein. Es lag weit in der Vergangenheit, aber die Erinnerung daran stieg immer wieder in ihm auf. Er hatte es nie vergessen. Dennoch erwähnte er es nicht. Die Geschichte zu erzählen hätte auch zu lange gedauert. Außerdem handelte es sich um eines jener Erlebnisse, die, wenn man sie einmal in Worte fasste, ihre entscheidende Nuance verloren. Er hatte noch nie jemandem davon erzählt und würde es wohl auch niemals tun.
    »Jedenfalls«, sagte seine Freundin, »kann man froh sein, wenn man zur Mehrheit derer gehört, die andere ausschließt, statt zu den wenigen, die ausgeschlossen werden. Man kann sich wirklich glücklich schätzen, nicht an ihrer Stelle zu sein. Im Grunde ist das in jeder Epoche und in jeder Gesellschaft das Gleiche, aber wenn man Teil der Mehrheit ist, denkt man nicht genug über solche lästigen Dinge nach.«
    »Wenn man allerdings zur Minderheit gehört, bleibt einem nichts anderes übrig, als daran zu denken.«
    »Stimmt«, erwiderte sie in niedergeschlagenem Ton. »Aber vielleicht sollte man wenigstens in der Lage sein, den eigenen Kopf zu gebrauchen.«
    »Man gebraucht ihn ohnehin meist nur, um über unangenehme Dinge nachzudenken.«
    »Stimmt, das ist auch ein Problem.«
    »Du solltest dir nicht zu viele Gedanken machen«, sagte Tengo. »Am Ende ist es vielleicht gar nicht so schlimm. Sicher gibt es in ihrer Klasse auch eine Menge Kinder, die ihren Verstand vernünftig gebrauchen.«
    »Du hast sicher recht«, erwiderte sie und schwieg eine Weile nachdenklich. Den Hörer ans Ohr gedrückt, wartete Tengo geduldig, bis sie ihre Gedanken geordnet hatte.
    »Danke. Es hat mich schon etwas beruhigt, mit dir zu sprechen«, sagte sie kurz darauf. Es schien, als sei ihr etwas eingefallen.
    »Ich bin auch ruhiger geworden«, sagte Tengo.
    »Warum?«
    »Weil ich mit dir gesprochen habe.«
    »Bis nächsten Freitag«, sagte sie.
    Nachdem Tengo aufgelegt hatte, ging er in einen Supermarkt in der Nähe, um einzukaufen. Er kam mit einer Papiertüte im Arm zurück und räumte die einzeln verpackten Gemüse und den Fisch in den Kühlschrank. Als er anschließend sein Abendessen vorbereitete und dabei Musik aus dem Radio hörte, klingelte das Telefon. Dass Tengo an einem Tag viermal angerufen wurde, kam äußerst selten vor. So selten, dass er die Male, die das in einem Jahr passierte, abzählen konnte. Diesmal war es Fukaeri.
    »Wegen Sonntag«, sagte sie übergangslos.
    Im Hintergrund ertönte unausgesetztes Gehupe. Ein Autofahrer schien einen Wutanfall zu haben. Sie rief wohl von einem öffentlichen Telefon an einer großen Straße aus an.
    »Am Sonntag, also übermorgen, treffen wir uns, und ich werde jemanden kennenlernen«, formulierte Tengo ihre Äußerung aus.
    »Neun Uhr morgens, Bahnhof Shinjuku, im vordersten Richtung Tachikawa«, sagte sie, indem sie drei Fakten

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