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1Q84: Buch 1&2

Titel: 1Q84: Buch 1&2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Personen, die bei den Vorreitern ein und aus gehen, stark angestiegen. Unentwegt fahren Autos vor. Viele davon mit Tokioter Nummernschild. Oft sind es große Luxuslimousinen, wie man sie auf dem Land selten sieht. Die Zahl der Funktionäre in der Kommune scheint sich ebenso rapide zu vermehren wie die der Gebäude und Anlagen. Auch die gesamte Ausstattung wurde verbessert. Die Vorreiter kaufen immer mehr Land in der Nachbarschaft zu niedrigen Preisen auf und importieren Traktoren, Bohrgerät, Betonmischer und so weiter in ihre Enklave. Die Landwirtschaft, die sie weiter betreiben wie bisher, soll sich zu einer bedeutenden Einkommensquelle entwickelt haben. ›Vorreiter‹ ist inzwischen ein ziemlich bekannter Markenname für biologisch angebautes Gemüse. Sie beliefern vor allem Restaurants und Geschäfte, die Naturkost anbieten. Auch mit ein paar Feinkostmärkten haben sie Verträge. Die Profite sollen enorm gestiegen sein. Doch neben der Landwirtschaft scheint dort noch etwas anderes vorzugehen. Durch die landwirtschaftlichen Einkünfte allein könnte man, auch bei noch so hohen Erträgen, eine derartige Expansion nicht finanzieren. Weil sie so heimlich tun, vermuten die Einheimischen, dass die Vorreiter das, was bei ihnen im Gang ist – was immer es auch sei –, vor der Öffentlichkeit verbergen müssen.«
    »Ob sie wieder politisch aktiv sind?«, fragte Tengo.
    »Das ist ziemlich unwahrscheinlich«, sagte der Sensei sofort. »Die Vorreiter haben nie politische Ziele verfolgt. Deshalb kam es ja seinerzeit zur Spaltung und Gründung von Akebono.«
    »Aber später muss etwas geschehen sein, das Eri zur Flucht gezwungen hat.«
    »Genau«, sagte der Sensei. »Etwas von so einschneidender Bedeutung, dass sie ihre Eltern zurücklassen und allein fortgehen musste. Aber Eri hat nie auch nur das Geringste erzählt.«
    »Vielleicht hatte sie einen Schock, oder die Erfahrung war so traumatisch, dass sie nicht darüber sprechen kann?«
    »Nein, Eri machte auch damals nicht den Eindruck, als habe sie einen Schock, Angst vor etwas oder wäre verstört, weil sie von ihren Eltern getrennt und allein war. Sie war einfach wie betäubt. Dann hat sie sich problemlos bei uns eingewöhnt. Beinahe verdächtig leicht und widerstandslos.«
    Der Professor schaute zur Tür. Dann wandte er seinen Blick wieder Tengo zu.
    »Was auch immer mit Eri passiert ist, ich möchte ihr das Geheimnis nicht mit Gewalt entreißen. Ich glaube, was sie braucht, ist Zeit. Deshalb habe ich sie auch nichts gefragt und werde, auch wenn sie weiter schweigt, so tun, als sei nichts. Eri war die ganze Zeit mit Azami zusammen. Sobald Azami aus der Schule kam, haben sie sich sogar zum Essen in ihr Zimmer zurückgezogen. Was die beiden da gemacht haben, weiß ich nicht. Vielleicht hat Eri sich Azami anvertraut. Aber ich habe da nicht nachgehakt und sie tun lassen, was ihnen gefiel. Abgesehen davon, dass Eri anfangs nicht gesprochen hat, gab es nie Probleme in unserem Zusammenleben. Sie ist ein intelligentes Mädchen und hörte auf das, was ich ihr sagte. Sie und Azami wurden unzertrennliche Freundinnen. Allerdings ging Eri damals nicht zur Schule, denn ein Kind, das kein Wort spricht, kann man ja nicht zur Schule schicken.«
    »Sie und Azami hatten bis dahin allein gelebt?«
    »Meine Frau ist vor zehn Jahren gestorben«, sagte der Sensei. Er machte eine Pause. »Sie kam bei einem Auffahrunfall ums Leben. Meine Tochter und ich blieben allein zurück. Eine entfernte Verwandte von uns, die hier in dieser Gegend wohnt, erledigt den größten Teil der Hausarbeit für uns. Sie kümmert sich auch um die Mädchen. Meine Frau zu verlieren war furchtbar für mich, und auch Azami hat sehr gelitten. Ein so plötzlicher Tod trifft einen ja völlig unvorbereitet. So war es, von den näheren Umständen abgesehen, trotz allem ein Glück, dass Eri zu uns zog. Obwohl sie nicht sprach, vermittelte uns seltsamerweise schon ihre bloße Anwesenheit ein Gefühl von Sicherheit. In den sieben Jahren, die seither vergangen sind, hat Eri, wenn auch nur Stück für Stück, die Sprache wiedererlangt. Verglichen mit damals, als sie zu uns kam, hat sich ihre Ausdrucksfähigkeit auffällig verbessert. Vielleicht wirkt ihre Art zu sprechen auf andere Menschen etwas sonderbar, aber wir sehen darin einen bemerkenswerten Fortschritt.«
    »Besucht Eri im Moment eine Schule?«
    »Nein. Wir haben sie nur der Form halber angemeldet. Realistisch gesehen, wäre der Schulalltag nichts für sie. Sie wird von

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