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1Q84: Buch 1&2

Titel: 1Q84: Buch 1&2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Weg räumen. Die Grenze zwischen einer richtigen Religion und einer Sekte zu ziehen ist eine viel heiklere Angelegenheit. Es gibt keine bestimmte Definition, alles ist Interpretationssache. Und wo es Raum für Interpretation gibt, gibt es immer auch Raum für politische und sonstige Interessen. Zum Beispiel ist eine Religionsgemeinschaft steuerlich begünstigt und gesetzlich besonders geschützt.«
    »Jedenfalls sind die Vorreiter also nicht mehr nur eine Landkommune, sondern auch eine religiöse Gruppe. Noch dazu eine erschreckend abgeschlossene Gruppe.«
    »Eine Neue Religion. Oder deutlicher ausgedrückt, eine Sekte.«
    »Ich verstehe das nicht. Für eine solche Wende muss es doch einen bedeutsamen Grund gegeben haben.«
    Der Sensei betrachtete seine Hände, auf denen eine Menge struppiger grauer Haare wuchsen. »Sie haben recht. Zweifellos hat es ein einschneidendes Ereignis gegeben, das diese Wende veranlasst hat. Ich habe selbst immer wieder darüber nachgedacht. Die verschiedensten Möglichkeiten in Betracht gezogen. Dennoch habe ich nicht die leiseste Ahnung, was dieser Anlass gewesen sein könnte. Sie halten alles völlig geheim und schotten sich so sehr ab, dass die Zustände im Inneren absolut undurchschaubar sind. Auch der Name Fukadas – der ja immerhin Führer der Vorreiter war – ist seither nie mehr aufgetaucht.«
    »Und vor drei Jahren kam es zu dieser Schießerei, und Akebono löste sich auf«, sagte Tengo.
    Der Professor nickte. »Nur die Vorreiter, aus denen Akebono ja hervorgegangen war, haben überlebt. Und blühten und gediehen.«
    »Also hat die Sache mit der Schießerei den Vorreitern nicht besonders geschadet.«
    »Genau«, sagte der Sensei. »Im Gegenteil, es war sogar gute Publicity. Diese Leute sind gerissen, und sie haben die Sache zu ihrem Vorteil gewendet. Aber das passierte alles erst, nachdem Eri die Vorreiter schon verlassen hatte. Wie gesagt hatte die Schießerei wohl nicht direkt etwas mit ihr zu tun.«
    Sie wechselten das Thema.
    »Haben Sie ›Die Puppe aus Luft‹ gelesen?«, fragte Tengo.
    »Selbstverständlich.«
    »Was halten Sie davon?«
    »Eine hochinteressante Geschichte«, sagte der Sensei. »Sehr bildreich und suggestiv. Allerdings verstehe ich, offen gestanden, nicht, was die blinde Ziege, die ›Little People‹ und die ›Puppe aus Luft‹ bedeuten.«
    »Glauben Sie, dass Eri in dieser Geschichte etwas erzählt, das sie bei den Vorreitern erlebt hat? Oder zumindest auf etwas Konkretes hinweist, dessen Zeugin sie war?«
    »Möglich wäre das. Aber es ist schwer zu bestimmen, wo die Realität aufhört und die Phantasie beginnt. Die Geschichte hat etwas von einem Mythos. Man könnte sie auch als geschickte Allegorie auffassen.«
    »Eri hat mir gesagt, die Little People gebe es wirklich.«
    Als der Sensei das hörte, machte er ein besorgtes Gesicht.
    »Sie glauben also, dass das, was sie in ›Die Puppe aus Luft‹ beschrieben hat, tatsächlich passiert ist?«
    Tengo schüttelte den Kopf. »Ich will nur sagen, dass die Geschichte bis in alle Einzelheiten ungewöhnlich realistisch geschildert ist und für einen Roman große Kraft besitzt.«
    »Und jetzt möchten Sie diesem Etwas, das der Geschichte innewohnt, eine klarere Form geben, indem Sie sie mit Ihren eigenen Worten neu schreiben. Stimmt das so?«
    »Wenn es geht.«
    »Ich bin Kulturanthropologe«, sagte der Professor. »Ich habe meine wissenschaftliche Laufbahn beendet, bin aber noch immer von ihrem Geist durchdrungen. Ein Ziel dieser Wissenschaft ist es, besondere Bilder, über die die Menschheit verfügt, miteinander zu vergleichen und darin universelle Gemeinsamkeiten zu entdecken. Und diese wieder auf das Individuum anzuwenden. Dadurch erhält der Mensch, obwohl er autonom ist, eine Zugehörigkeit. Verstehen Sie, was ich sage?«
    »Ich glaube schon.«
    »Vielleicht streben Sie mit Ihrer Arbeit etwas Ähnliches an.«
    Tengo spreizte beide Hände auf den Knien. »Klingt schwierig.«
    »Aber vielleicht lohnt es sich, es zu versuchen.«
    »Ich weiß nicht einmal, ob ich die Fähigkeit dazu besitze.«
    Der Professor blickte Tengo ins Gesicht. In seinen Augen war jetzt ein besonderes Leuchten.
    »Mich würde interessieren«, sagte er, »ob Eri bei den Vorreitern etwas zugestoßen ist. Und welches Schicksal das Ehepaar Fukada erlitten hat. Seit sieben Jahren bemühe ich mich, Licht in die Sache zu bringen, habe aber nie eine Spur entdeckt. Die Mauer, die mir den Zugang versperrt, ist zu dick und hart, als dass ich

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