1Q84: Buch 3
hört man gern«, sagte Tamaru. »Hat Madame dir übrigens von diesem zwielichtigen kleinen Glatzkopf erzählt, der um die Villa gestrichen ist?«
»Ja. Ist er noch mal aufgetaucht?«
»Nein, er hat sich nicht mehr blicken lassen. Er hat zwei Tage hier herumgeschnüffelt und ist dann verschwunden. Aber er hat sich bei ein paar Maklern in der Gegend als Wohnungssuchender ausgegeben und sie über das Frauenhaus ausgefragt. Er ist ja ein ziemlich auffälliger Typ und außerdem nicht gerade dezent gekleidet. Alle, mit denen er gesprochen hat, erinnern sich an ihn. Es ist keine Kunst, seiner Spur zu folgen.«
»Keine gute Voraussetzung für einen Detektiv oder einen Spion.«
»Du sagst es. Äußerlich ist der Mann völlig ungeeignet für seinen Beruf. Vor allem, weil er diesen seltsamen Riesenschädel hat. Aber wir sollten ihn nicht unterschätzen, denn er scheint eine Menge auf dem Kasten zu haben und hat einiges herausgefunden. Er geht ziemlich geschickt und systematisch vor, weiß genau, wo er was erfragen muss. Er ist intelligent, übersieht nichts Wichtiges und tut nichts Überflüssiges.«
»Und was hat er über das Frauenhaus herausgekriegt?«
»Er weiß, dass das Haus von Madame unterhalten wird. Vielleicht weiß er mittlerweile sogar, dass sie Mitglied in dem Sportstudio ist, in dem du gearbeitet hast, und dass du ihr häufig Privatstunden in der Villa gegeben hast. Ich an seiner Stelle hätte das auch in Erfahrung gebracht.«
»Willst du damit sagen, der Mann ist so gut wie du?«
»Das könnte jeder, der in der Lage ist, logisch zu denken, und keine Mühe scheut, um an Informationen heranzukommen.«
»Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass es viele solche Leute auf der Welt gibt.«
»Ein paar schon. Im Allgemeinen nennt man sie Profis.«
Aomame setzte sich auf einen Stuhl und legte einen Finger an die Nase. Sie war noch kalt von draußen.
»Und der Mann hat sich nicht mehr in der Nähe der Villa gezeigt«, sagte sie.
»Bestimmt ist ihm klar, dass er zu sehr auffällt. Auch dass wir Überwachungskameras haben, wird er mitbekommen haben. Er hat recherchiert, was in der kurzen Zeit möglich war, und ist in andere Jagdgründe weitergezogen.«
»Das heißt also, der Mann weiß von der Beziehung zwischen Madame und mir. Dass sie über das normale Verhältnis zwischen Trainerin und Klientin hinausgeht, dass es eine Verbindung zum Frauenhaus gibt und dass wir ein gemeinsames Projekt hatten.«
»Vermutlich«, sagte Tamaru. »Wie ich es sehe, ist er auf dem besten Weg, zum Kern der Sache vorzudringen.«
»All das klingt eher, als würde der Mann auf eigene Faust arbeiten und nicht im Auftrag einer größeren Organisation.«
»Ganz meiner Meinung. Sofern keine besondere Absicht dahintersteckt, ist es so gut wie ausgeschlossen, dass eine Organisation einen derart auffälligen Typ zu verdeckten Ermittlungen einsetzt.«
»Wozu spioniert er dann bei euch herum. Und für wen?«
»Tja«, sagte Tamaru. »Wir wissen nur, dass er gerissen und gefährlich ist. Alles andere sind bloß Vermutungen. Aber wenn du mich fragst, hat er in irgendeiner Form mit den Vorreitern zu tun.«
Aomame überlegte. »Und jetzt hat er sein Jagdrevier gewechselt.«
»Ja. Wir wissen nur nicht, wohin er sich begeben hat. Aber es wäre logisch anzunehmen, dass er sich jetzt deinem Versteck zuwendet oder es zumindest vorhat.«
»Aber du hast doch gesagt, es sei so gut wie unmöglich, mich ausfindig zu machen.«
»Das stimmt auch. Durch bloße Nachforschungen kann niemand dein Apartmenthaus mit Madame in Verbindung bringen. Wir haben jeden Zusammenhang getilgt. Aber so etwas funktioniert immer nur kurzfristig. Dauert die Belagerung länger an, entstehen Risse in der Verteidigung. An ganz unerwarteten Stellen. Angenommen, du gehst mal einen Augenblick nach draußen, und jemand sieht dich zufällig. Das wäre eine Möglichkeit.«
»Ich gehe nicht raus«, sagte Aomame schroff, obwohl das natürlich nicht der Wahrheit entsprach. Sie hatte die Wohnung ja bereits zweimal verlassen. Einmal, als sie auf der Suche nach Tengo auf den Spielplatz gerannt war, und ein zweites Mal, als sie mit dem Taxi zu dem Pannenstreifen bei Sangenjaya auf der Stadtautobahn Nr. 3 gefahren war, um die Treppe und damit einen Fluchtweg aus dem Jahr 1Q84 zu finden. Aber das konnte sie Tamaru nicht anvertrauen.
»Wie könnte der Mann noch herausfinden, dass ich hier bin?«
»Wenn ich er wäre, würde ich alle deine Person betreffenden Informationen noch einmal
Weitere Kostenlose Bücher