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1Q84: Buch 3

1Q84: Buch 3

Titel: 1Q84: Buch 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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durchgehen. Was für ein Mensch du bist, woher du kommst, was du bisher gemacht hast, was du denkst, was du erreichen willst und was nicht. Ich würde jedes noch so kleine Detail vor mir auf dem Tisch ausbreiten und es gründlich überprüfen und analysieren.«
    »Mich also völlig bloßlegen, ja?«
    »Ja, und dich splitternackt unter einer grellen, kalten Lichtquelle betrachten. Dich mit Pinzette und Mikroskop von oben bis unten sezieren, deine Denkweise und deine Verhaltensmuster analysieren.«
    »Meinst du wirklich, dass eine solche Analyse meiner Verhaltensmuster am Ende Aufschluss über meinen Aufenthaltsort geben könnte?«
    »Das weiß ich nicht«, sagte Tamaru. »Vielleicht, vielleicht aber auch nicht. Das ist von Fall zu Fall anders. Ich sage nur, dass ich es so machen würde, wenn ich er wäre. Ein anderes Vorgehen fiele mir nicht ein. Jeder Mensch denkt und agiert in bestimmten, eigenen Bahnen, und wo es feste Muster gibt, entstehen Schwachpunkte.«
    »Klingt sehr wissenschaftlich.«
    »Ohne feste Formen kann der Mensch nicht leben. Sie sind wie das Thema in einem Musikstück. Zugleich legen sie seinem Denken und Handeln Fesseln an und beschränken seine Freiheit. Prioritäten verschieben sich, und in manchen Fällen leidet die Vernunft. Du weigerst dich zum Beispiel, den Ort, an dem du jetzt bist, vor Ende des Jahres zu verlassen. Ungeachtet der Gefahr. Weil du etwas suchst und nicht fortkannst – oder fortwillst –, bevor du es gefunden hast.«
    Aomame schwieg.
    »Natürlich weiß ich nicht, was es ist und wie sehr du es willst, und ich werde mir auch nicht erlauben, dich zu fragen. Aber aus meiner Sicht entwickelt sich dieses Etwas allmählich zu deinem persönlichen Schwachpunkt.«
    »Kann sein«, gab Aomame zu.
    »Dieser Typ mit dem Wasserkopf wird diesem Aspekt vielleicht nachgehen. Der Kerl wird deine Schwäche gnadenlos ausnutzen. Wenn er so gerissen ist, wie ich vermute, und eins und eins zusammenzählt, wird er uns auf die Schliche kommen.«
    »Ich glaube das nicht«, sagte Aomame. »Er kann den Weg, der mich mit diesem Etwas verbindet, nicht finden. Denn es ist tief in meinem Herzen eingeschlossen.«
    »Kannst du das mit hundertprozentiger Sicherheit sagen?«
    Aomame überlegte. »Nicht zu hundert Prozent. Aber zu achtundneunzig.«
    »Dann sollten wir uns ernsthafte Sorgen um die verbleibenden zwei Prozent machen. Wie gesagt, der Mann ist meiner Ansicht nach ein Profi. Sehr gewandt und ausdauernd.«
    Aomame schwieg.
    »So ein Profi ist wie ein ausgebildeter Jagdhund. Er wittert Dinge, die normale Menschen nicht wahrnehmen können, hört Geräusche, die normale Menschen nicht hören. Wer sich in allem verhält wie ein normaler Mensch, der wird es niemals zum Profi bringen. Und selbst wenn einer es geschafft hat, dann wird er nicht alt. Wir müssen sehr auf der Hut sein. Du bist sehr vorsichtig, das weiß ich. Aber du musst jetzt noch vorsichtiger sein als bisher. Die wichtigsten Dinge werden nicht nach Prozentsatz bestimmt.«
    »Darf ich dir eine Frage stellen?«, sagte Aomame.
    »Welche denn?«
    »Was willst du tun, wenn der Mann mit dem Riesenschädel wieder auftaucht?«
    Tamaru schwieg einen Moment. Anscheinend war er auf diese Frage nicht vorbereitet gewesen. »Wahrscheinlich nichts. Ich lasse ihn laufen. Hier kann er nichts ausrichten.«
    »Aber wenn er anfängt zu nerven?«
    »Wie zum Beispiel?«
    »Ich weiß nicht. Wenn er irgendwie stört.«
    Tamaru grunzte. »Dann schicke ich ihm eine Botschaft.«
    »Von Profi zu Profi?«
    »So ungefähr«, sagte Tamaru. »Aber bevor ich etwas Konkretes unternehme, muss ich wissen, ob er mit jemandem zusammenarbeitet. Falls er Unterstützung hat, könnte es umgekehrt auch gefährlich für mich werden. Ich kann erst gegen ihn vorgehen, wenn ich weiß, wie der Hase läuft.«
    »Bevor man in ein Schwimmbassin springt, sollte man sich vergewissern, dass das Wasser tief genug ist.«
    »So ungefähr.«
    »Aber eigentlich vermutest du, dass er allein arbeitet. Ohne Hilfe.«
    »Ja. Nur hat mich die Erfahrung gelehrt, dass mein Instinkt auch trügen kann. Leider habe ich keine Augen im Hinterkopf«, sagte Tamaru. »Tu mir also den Gefallen und behalte deine Umgebung genau im Auge. Treiben sich verdächtige Personen in der Nähe herum? Ist irgendetwas anders als sonst? Sobald du auch nur die kleinste Veränderung bemerkst, sagst du mir Bescheid.«
    »Verstanden. Ich passe auf«, sagte Aomame. Das brauchst du mir nicht zu sagen, fügte sie in Gedanken hinzu,

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