1Q84: Buch 3
ein und vernahm beim Einrasten ein angenehmes Klacken. Sein Blutkreislauf kam in Schwung und transportierte die richtige Menge Adrenalin durch seinen Körper. So muss es sein, dachte Ushikawa. So stimmt es wieder. Das bin ich, und das ist die wirkliche Welt.
Es war kurz nach sieben, als Tengo das Haus wieder verließ. Nach Sonnenuntergang hatte der Wind aufgefrischt, und es wurde plötzlich bitterkalt. Er trug eine Lederjacke über seinem dünnen Segelparka und ausgeblichene Jeans. Diesmal blieb er am Eingang stehen und sah sich um, aber nichts schien seine Aufmerksamkeit zu erregen. Er schaute sogar in Ushikawas Richtung, doch entdeckte seinen versteckten Beobachter natürlich nicht. Im Gegensatz zu Eriko Fukada, dachte Ushikawa. Sie ist ein ganz besonderes Wesen . Sie sieht, was andere nicht sehen. Aber du, Tengo, bist ein Durchschnittsmensch, weder gut noch schlecht. Du kannst mich nicht sehen.
Als Tengo sich überzeugt hatte, dass um ihn herum alles normal und unverändert war, zog er den Reißverschluss seiner Lederjacke bis zum Hals zu, vergrub die Hände in den Taschen und trat auf die Straße hinaus. Hastig stülpte Ushikawa sich seine Strickmütze über, wickelte sich den Schal um den Hals, schlüpfte in seine Schuhe und folgte Tengo.
Ihn zu beschatten war natürlich eine riskante Entscheidung. Falls Tengo ihn sah, würde er Ushikawa sofort an seiner merkwürdigen Statur und seinem Aussehen erkennen. Aber es war schon dunkel, und wenn er Abstand hielt, würde er nicht auffallen.
Tengo ging langsam die Straße entlang und drehte sich immer wieder um, doch Ushikawa war auf der Hut und entging seinen Blicken. Der junge Mann wirkte von hinten ziemlich nachdenklich. Vielleicht kreisten seine Gedanken um Fukaeri und ihr Verschwinden. Wie es aussah, schlug er den Weg zum Bahnhof ein. Ob er mit der Bahn fahren wollte? Dann würde es schwierig werden, ihn weiter zu beschatten. Auf dem Bahnhof war es hell, und samstagabends waren viele Fahrgäste unterwegs. Ushikawa würde sofort auffallen. In dem Fall wäre es klüger, die Verfolgung aufzugeben.
Aber Tengo ging nicht zum Bahnhof. Nach einer Weile bog er in eine Straße ein, die vom Bahnhof wegführte. Nachdem er die menschenleere Straße ein kurzes Stück entlanggegangen war, blieb er vor einem Lokal mit dem Namen »Gerstenkopf« stehen, anscheinend eine Art Bistro für jüngere Leute. Tengo sah auf die Uhr und betrat dann das Lokal. Gerstenkopf, dachte Ushikawa kopfschüttelnd. Wer denkt sich so was bloß aus?
Hinter einem Strommast stehend, schaute er sich um. Tengo wollte dort bestimmt etwas essen und trinken. Eine halbe Stunde würde er auf jeden Fall brauchen. Wenn Ushikawa Pech hatte, saß er eine Stunde fest. Er sah sich nach einem geeigneten Platz um, an dem er die Zeit verbringen und dabei die Leute beobachten konnte, die im Gerstenkopf ein und aus gingen. Aber in der Nähe gab es nur ein Milchgeschäft, eine kleine Versammlungshalle der buddhistischen Tenri-Schule und einen Reishändler. Überall waren bereits die Läden heruntergelassen. So ein Mist, dachte Ushikawa. Der schneidend kalte Nordwestwind trieb die Wolken über den Himmel, als wolle er die heitere Wärme des Nachmittags Lügen strafen. Eine halbe Stunde oder länger in diesem frostigen Wind tatenlos auf der Straße stehen zu müssen war natürlich nicht gerade das, wovon Ushikawa träumte.
Er überlegte, ob er den Rückzug antreten sollte. Tengo würde ja nur etwas essen. Wahrscheinlich war es unnötig, ihn mit solchem Aufwand zu beschatten. Stattdessen konnte Ushikawa selbst irgendwo einkehren, etwas Warmes zu sich nehmen und dann in die Wohnung zurückkehren. Tengo würde sicher bald nach Hause gehen. Eine verlockende Perspektive. Ushikawa stellte sich vor, wie er ein gutgeheiztes Lokal betrat und sich eine Schale Oyako-domburi – »Mutter und Kind« – Hähnchenfleisch und Ei auf Reis munden ließ. Er hatte schon seit einigen Tagen nichts Richtiges mehr in den Magen bekommen. Ein Fläschchen heißer Sake würde dazu hervorragend schmecken. Vor allem bei dieser Eiseskälte. Und ein paar Schritte an der frischen Luft würden ihn schon wieder nüchtern machen.
Aber auch ein anderes Szenario war vorstellbar, nämlich dass Tengo im Gerstenkopf mit jemandem verabredet war. Diese Möglichkeit durfte Ushikawa nicht außer Acht lassen. Tengo hatte das Haus verlassen und war auf direktem Weg zu diesem Lokal gegangen. Und hatte, bevor er es betrat, auf die Uhr gesehen. Vielleicht wartete
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