Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
1Q84: Buch 3

1Q84: Buch 3

Titel: 1Q84: Buch 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
Vom Netzwerk:
spontan, den Reißverschluss seines Schlafsacks zu öffnen.
    Blitzartig legten sich die muskulösen Arme eines Mannes um Ushikawas Hals, erbarmungslos wie ein Schraubstock. Zum Schreien blieb ihm keine Zeit. Der Mann sagte kein Wort. Nicht einmal sein Atem war zu hören. Ushikawa strampelte und wand sich in seinem Schlafsack. Er krallte sich in das Nylon und trat mit den Füßen dagegen. Er versuchte zu schreien. Aber es half alles nichts. Als der andere ihn auf die Tatami presste, konnte er sich selbst unter Aufbietung all seiner Kräfte nicht rühren. Jeder Versuch war vergeblich. Unterdessen drückte der Mann Ushikawas Kehle weiter zu, sodass diesem allmählich die Luft ausging.
    Trotz seiner verzweifelten Lage schoss Ushikawa die Frage durch den Kopf, wie der Mann in die Wohnung gekommen war. Die Tür war abgeschlossen gewesen, er hatte sogar von innen die Kette vorgelegt. Die Fenster schlossen vorzüglich. Wie hatte der Mann dennoch in die Wohnung gelangen können? Hätte er sich am Schloss zu schaffen gemacht, hätte der Lärm Ushikawa zweifellos geweckt.
    Der Kerl ist ein Profi, dachte Ushikawa. Einer, der dich, wenn nötig, ohne zu zögern umbringt. Darauf ist er gedrillt. Ob die Vorreiter ihn geschickt hatten? Hatten sie nun doch beschlossen, ihn zu beseitigen? Schätzten ihn als nutzlosen Versager ein? Dann irrten sie sich gewaltig. Schließlich war er kurz davor, Aomame aufzuspüren. Ushikawa hätte gern gesagt: Hör doch erst einmal, was ich zu berichten habe. Aber er bekam nicht mehr genug Luft, um seine Stimmbänder in Schwingung zu versetzen. Seine Zunge lag wie ein Stein in seiner Kehle.
    Seine Luftröhre war jetzt völlig blockiert. Er konnte nicht mehr atmen. Seine Lungen gierten in Todesangst nach frischem Sauerstoff, aber vergebens. Ushikawa war es, als würden sein Körper und sein Bewusstsein sich trennen. Der Körper wand sich weiter in dem Schlafsack, während der Geist in eine Schicht dicker, schwerer Luft gesogen wurde. Schon hatte er kein Gefühl mehr in Armen und Beinen. Warum?, fragte er sich, als ihm das Bewusstsein schwand. Warum muss ich an diesem elenden Ort auf so elende Weise sterben? Natürlich bekam er keine Antwort. Bald senkte sich eine randlose Dunkelheit von der Decke und hüllte alles ein.
     
    Als Ushikawa wieder zu sich kam, befand er sich nicht mehr in seinem Schlafsack. Seine Arme und Beine waren gefühllos. Allmählich begriff er, dass man ihm die Augen verbunden hatte und er mit der Wange auf dem Tatami-Boden lag. Seine Kehle war nicht mehr zugeschnürt. Seinen Lungen atmeten frische, kalte Winterluft. Pfeifend wie Blasebälge weiteten sie sich und zogen sich wieder zusammen. Durch den Sauerstoff wurde neues Blut gebildet, und sein Herz pumpte die rote, warme Flüssigkeit mit Hochgeschwindigkeit in die Nervenenden. Von gelegentlichen heftigen Hustenanfällen geschüttelt, konzentrierte Ushikawa sich lediglich darauf zu atmen. Mit der Zeit kehrte auch das Gefühl in seine Gliedmaßen zurück. Sein Herz hämmerte so laut, dass es ihm in den Ohren dröhnte. Ich lebe, dachte Ushikawa in der Dunkelheit.
    Man hatte ihn bäuchlings auf die Tatami gelegt und ihm die Hände mit einer Art weichem Tuch auf den Rücken gebunden. Auch seine Füße waren gefesselt. Nicht sehr fest, aber wirkungsvoll. Er konnte sich nur rollen, eine andere Bewegung war nicht möglich. Aber er war nicht gestorben. Er hatte an der Schwelle des Todes gestanden, ohne sie zu überschreiten. Geblieben war ein stechender Schmerz zu beiden Seiten seiner Kehle, als sei sie dort geschwollen. Seine uringetränkte Unterwäsche fühlte sich kalt an. Aber diese Empfindungen waren ihm nicht unangenehm, vielmehr begrüßte er sie. Denn der Schmerz und die Kälte waren Zeichen dafür, dass er noch am Leben war.
    »So leicht stirbt man nicht«, sagte der Mann, als habe er Ushikawas Gedanken gelesen.

Kapitel 23
    Aomame
    Das Licht existiert
    Es war nach Mitternacht, aus Sonntag war Montag geworden, aber Aomame konnte nicht einschlafen.
    Sie hatte ein Bad genommen, ihren Pyjama angezogen, sich ins Bett gelegt und das Licht gelöscht. Lange aufzubleiben hatte keinen Sinn, sie konnte ja ohnehin nichts tun. Ihr Problem lag nun vorerst in Tamarus Händen. Auf alle Fälle war es besser, erst einmal zu schlafen und am nächsten Morgen, wenn sie wieder frisch war und ihr Kopf klar, alles zu überdenken. Doch sie war hellwach, und ihr Körper verlangte nach Aktion. An Schlaf war nicht zu denken.
     
    Resigniert stieg Aomame aus

Weitere Kostenlose Bücher