1Q84: Buch 3
Dessert des Tages. Es gebe gedeckten Pfirsichkuchen, antwortete die Kellnerin. Ushikawa bestellte ein Stück davon und noch einen Kaffee.
Wenn das nicht Aomame war, dachte Ushikawa, während er auf seinen Kuchen wartete, werde ich sie wahrscheinlich bis in alle Ewigkeit nicht finden .
Der Pfirsichkuchen war besser als erwartet, der Teig knusprig, die Pfirsiche saftig. Natürlich kamen sie aus der Dose, aber für eine Imbiss-Kette war der Kuchen insgesamt nicht schlecht. Ushikawa aß ihn bis zum letzten Bissen auf, trank seinen Kaffee und verließ gesättigt und zufrieden das Lokal. Er ging in einen Supermarkt und kaufte Lebensmittel für drei Tage. Zurück in der Wohnung, bezog er wieder seinen Posten hinter der Kamera.
Während er, an die Wand gelehnt, in der Sonne saß und durch den Vorhangspalt den Eingang beobachtete, döste er mehrmals ein. Doch das kümmerte ihn nicht. Er würde nichts Wichtiges verpassen. Tengo hatte Tokio verlassen, weil er sich um die Bestattung seines Vaters kümmern musste, und Fukaeri würde ohnehin nicht mehr zurückkommen. Sie wusste, dass Ushikawa das Haus weiter bespitzelte. Auch bestand kaum die Möglichkeit, dass die geheimnisvolle Frau auftauchte, solange es noch hell war. Sie verhielt sich äußerst vorsichtig und würde sicherlich nur im Schutz der Dunkelheit agieren.
Doch auch als die Sonne untergegangen war, ließ die mysteriöse Frau sich nicht blicken. Die üblichen Nachbarn brachen zum Einkaufen oder zu einem Abendspaziergang auf. Die, die von der Arbeit heimkehrten, sahen noch erschöpfter aus als am Morgen. Ushikawa verfolgte das ganze Kommen und Gehen, ohne den Auslöser zu drücken. Von ihnen brauchte er keine Fotos mehr zu machen. Sein Interesse richtete sich mittlerweile nur noch auf die drei Personen. Alle anderen waren lediglich unbedeutende Statisten. Aus Langeweile sprach Ushikawa sie mit den Spitznamen an, die er ihnen verpasst hatte.
»Na, Herr Mao (der Mann hatte eine ähnliche Frisur wie Mao Zedong), wie war’s auf der Arbeit?«
»Schön warm heute, Herr Langohr, optimal für einen Spaziergang.«
»Gehst du wieder einkaufen, Frau Kinn? Was gibt’s denn heute zu Abend?«
Bis elf Uhr behielt Ushikawa den Eingang im Auge. Mit einem gewaltigen Gähnen beschloss er dann, sein Tagwerk zu beenden. Er trank eine pet -Flasche grünen Tee, aß ein paar Cracker und rauchte eine Zigarette. Nachdem er sich im Bad die Zähne geputzt hatte, streckte er die Zunge weit heraus und betrachtete sie seit langem wieder einmal im Spiegel. Sie war dick belegt, als wachse Moos darauf. Wie echtes Moos war auch der Belag grünlich. Er inspizierte das Moos eingehend unter der Lampe. Es sah eklig aus, haftete fest an der Oberfläche seiner Zunge und ließ sich partout nicht entfernen. Wenn das so weitergeht, werde ich vielleicht nach und nach zu einem Moosmenschen, dachte Ushikawa. Mit der Zunge fängt es an, und am Ende ist meine ganze Haut mit grünem Moos überwachsen. Wie der Panzer einer Schildkröte, die im Sumpf lebt. Was für eine Vorstellung!
Mit diesem stummen Ausruf und einem anschließenden Seufzer stellte er die Betrachtungen über seine Zunge ein und löschte das Licht im Badezimmer. Er zog sich im Dunkeln aus, kroch in den Schlafsack, zog den Reißverschluss zu und rollte sich zusammen wie ein Wurm.
Als er aufwachte, war es stockdunkel. Er drehte den Kopf, um zu sehen, wie viel Uhr es sei, aber seine Uhr befand sich nicht dort, wo sie sein sollte. Ushikawa war einen Moment lang verwirrt. Er vergewisserte sich stets vor dem Schlafengehen, dass seine Uhr so lag, dass er auch im Dunkeln sofort die Zeit erkennen konnte. Es war eine langjährige Gewohnheit von ihm. Warum war die Uhr nicht da? Durch den Spalt im Vorhang fiel etwas Licht ins Zimmer, aber es erhellte nicht mehr als eine Ecke. Alles andere war in tiefe nächtliche Finsternis gehüllt.
Ushikawa spürte, dass sein Herz schneller schlug. Es pumpte heftig, um das plötzlich frei gewordene Adrenalin in seinem Körper zu verteilen. Seine Nasenflügel blähten sich, und sein Atem ging keuchend. Als habe man ihn mitten aus einem sehr lebhaften, aufregenden Traum gerissen.
Aber er hatte nicht geträumt. Es geschah wirklich etwas. An seinem Kopfende war jemand. Ushikawa spürte seine Präsenz. Ein Schatten, schwärzer als die Dunkelheit, tauchte auf und blickte auf Ushikawas Gesicht herunter. Zuerst war er wie versteinert. Im Bruchteil einer Sekunde restrukturierte sich sein Bewusstsein, und er versuchte
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