1Q84: Buch 3
gestalten, wie ich es mir wünsche. Oder nicht?
Sie dachte über diese Möglichkeit nach.
Doch was musste sie tun, damit ihr dies gelang?
Aomame wusste nicht, wie, aber sie wusste, dass die Möglichkeit bestand, auch wenn sie im Augenblick nicht mehr als eine Theorie war. Sie presste in der dunklen Stille die Lippen zusammen und grübelte. Es war ungeheuer wichtig. Sie musste gut überlegen.
Wir bilden ein Team. Tengo und ich müssen bei dieser neuen Geschichte ein ebenso geniales Team bilden wie er und Eriko Fukada, als sie Die Puppe aus Luft schufen. Unsere Willenskraft – oder ihre unterschwelligen Strömungen – vereinen, die darin enthaltene Geschichte wecken und sie fortführen. Dieser Vorgang spielt sich offenbar auf einer tiefen, nicht sichtbaren Ebene ab. Deshalb konnten wir auch eins werden, ohne physisch zusammen zu sein. Wir erschaffen die Geschichte, und zugleich treibt sie uns voran. Könnte es nicht so sein?
Eine Frage stellt sich dabei, eine äußerst wichtige:
Welche Bedeutung hat das Kleine in der Geschichte, die wir beide schreiben? Welche Rolle spielt es darin?
Das Kleine hat so stark auf die Szene reagiert, in der die Little People und das Mädchen die Puppe aus Luft spinnen, dass in meiner Gebärmutter diese deutlich spürbare Hitze entstanden ist, von der ein oranges Licht ausgeht. Wie eine Puppe aus Luft. Erfüllt meine Gebärmutter die Aufgabe einer Puppe aus Luft? Bin ich die Mother und das Kleine meine Daughter? Haben die Little People etwas damit zu tun, dass ich, ohne mit Tengo geschlafen zu haben, ein Kind von ihm bekomme? Haben sie sich meiner Gebärmutter bemächtigt, um sie als Puppe aus Luft zu nutzen? Als Brutkasten für eine neue Daughter?
Nein, so war es nicht. Dessen war sie sich ganz sicher. Das war ausgeschlossen.
Die Little People hatten keine Macht mehr. Nach Aussage des Leaders hatten sie durch die Popularität des Buches Die Puppe aus Luft ihre ursprüngliche Bewegungsfreiheit eingebüßt. Offenbar hatte ihre Empfängnis auf eine Weise stattgefunden, die an den Little People vorübergegangen war. Sie hatten nichts mit Aomames Schwangerschaft zu tun. Aber wer – oder welche Macht – hatte dann diese Schwangerschaft bewirkt? Und wozu?
Aomame hatte keine Ahnung.
Das Einzige, was sie wusste, war, dass das Kleine von Tengo und ihr gezeugt worden war. Sein Leben war kostbar und unersetzlich für sie. Erneut legte sie sich die Hände auf den Unterleib, drückte sacht und zärtlich auf die Umrisse des schwachen, orangen Lichts. Sie ließ die Wärme sich langsam in ihrem ganzen Körper ausbreiten. Ich muss dieses kleine Wesen unter allen Umständen beschützen, dachte sie. Ich werde niemals zulassen, dass jemand es mir wegnimmt oder ihm ein Leid zufügt. Wir werden es beschützen und großziehen. Diesen festen Entschluss fasste sie in der Dunkelheit der Nacht.
Sie ging ins Schlafzimmer, zog den Morgenmantel aus und schlüpfte ins Bett. Auf dem Rücken liegend, die Hände auf dem Bauch, spürte sie die Wärme auch jetzt. Alle Unsicherheit war verschwunden. Auch die Zweifel. Ich muss noch stärker werden, nahm Aomame sich vor. Mein Körper und mein Geist müssen eins sein. Es dauerte nicht lange, und lautlos wie aufsteigender Rauch kam der Schlaf und hüllte sie ein. Am Himmel standen noch immer die beiden Monde.
Kapitel 24
Tengo
Abschied von der Stadt der Katzen
In seiner adrett gebügelten NHK -Kassiereruniform wurde der Leichnam seines Vaters in den schlichten Sarg gelegt. Wahrscheinlich war es das billigste Modell, das sie hatten, ein liebloser Kasten, der auch als Kuchenschachtel hätte durchgehen können. Wiewohl ein kleiner, zierlicher Mann, fand der Verstorbene kaum Platz darin. Der Sarg war aus Sperrholz und hatte keinerlei Verzierungen. Sein Vater habe darauf beharrt, dass ihm dieser Sarg genüge, versicherte der Bestatter ein wenig verlegen. Ja, gewiss, erwiderte Tengo. Sein Vater hatte ihn selbst aus dem Katalog ausgewählt und die Rechnung im Voraus beglichen. Wenn der Verstorbene keine Bedenken gehabt hatte, hatte Tengo auch keine.
Sein Vater sah nicht aus wie tot, als er so in seiner NHK -Uniform in dem schlichten Sarg lag. Eher, als würde er in einer Pause ein Nickerchen machen und jeden Moment die Augen aufschlagen, seine Mütze aufsetzen und aufbrechen, um noch ausstehende Gebühren einzusammeln. Die Uniform mit dem aufgestickten NHK -Abzeichen wirkte fast wie eine zweite Haut. Er schien in dieser Uniform zur Welt gekommen zu sein, und nun
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